Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Prozent, dessen Wohlstand diesen Maßstab sprengt, nur die 800000 bis eine Million Mitbürger, die mit ihrem Besitz außerhalb der Seite liegen, nur die sind richtig reich. Von ihnen handelt dieses Kapitel.
Wenn wir diese Reichtums-Messlatte im selben Maßstab weiterzeichnen – ein Zentimeter entspricht einem Vermögen von 50000 Euro – wie weit entfernt sind dann die Mitbürger, die das manager magazin in seinen Milliardärstabellen auf den vorderen Plätzen führt? Karl Albrecht, der Chef von Aldi Süd, ist seit Jahren Tabellenführer, geschätztes Vermögen: 17 Milliarden Euro. 1 Wie groß ist der Abstand zu ihm? Ein Meter? Zehn Meter? Hundert Meter?
Die Antwort lautet: 3,5 Kilometer. Um den Vermögensunterschied zwischen den 99 Prozent darzustellen, genügt eine DIN-A 4-Seite. Karl Albrecht sieht man nur mit einem guten Fernglas.
Die DIN-A 4-Seite als Reichtumsmaß entspricht ziemlich exakt den wissenschaftlichen Kriterien, auf die sich Sozialwissenschaftler international geeinigt haben. Sie sprechen von »High Net Worth Individuals«, HNWI s. Das sind Personen mit einem frei verfügbaren Kapital von mehr als einer Million Dollar. Die selbst genutzte Immobilie gehört bei dieser Definition also nicht dazu. Wer über rund 750000 Euro (oder je nach Währungskurs: eine Million Dollar) Finanzkapital verfügt, besitzt in aller Regel auch ein Eigenheim mit einem Wert in derselben Größenordnung. Macht zusammen ein Vermögen von 1,5 Millionen Euro – der Rand der DIN-A 4-Seite. Der »World Wealth Report« zählt im Jahr 2011 rund 924000 HNWI s in Deutschland. 2 Das reichste eine Prozent.
Die unbekannte Oberschicht
Sozialwissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen und Journalisten durchleuchten und vermessen jeden Winkel der Gesellschaft. Gepiercte Rentner oder vegetarische Hundehalter – von jeder noch so kleinen Gruppe existiert ein detailliertes Bild in HD -Auflösung. Einzig von den Vermögenden gibt es kein aktuelles Bild. Wer etwas über die Reichen von heute erfahren will, ist auf ein Sammelsurium von Puzzleteilen angewiesen, in dem wesentliche Stücke fehlen. Auch die Politik hat ihren Fokus nicht auf die Habenden scharf gestellt. Der jüngste »Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung« von 2008, ein Werk von 228 Seiten, beschäftigt sich auf insgesamt sieben Seiten mit Aspekten des Reichtums. 3 Von dem knappen Platz ist ein großer Teil der Klage über den mangelhaften Forschungsstand gewidmet.
In Frankreich und erst recht in Großbritannien ist das Bewusstsein für Klassen ungebrochen. Dort steht die Upper Class unter ständiger und selbstverständlicher Beobachtung. In Deutschland hingegen nimmt es die Gesellschaft hin, dass über die Besitzenden, über ihren Besitz und über dessen Wachstum nicht gesprochen wird. Jede Auseinandersetzung um privaten Reichtum, sogar jede Nachfrage danach, bekommt sofort das Etikett »Neiddiskussion« angeklebt. Die Abschreckung wirkt. Sie ist ein Grund für die Wissens- und Erkenntnislücken der Gesellschaft über ihre Oberschicht: Wer nicht fragt, bekommt keine Antworten.
Doch auch wer fragt, bekommt keine Antworten. Das erfahren regelmäßig alle Wissenschaftler, die sich mit der deutschen Oberschicht beschäftigen. Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der TU Darmstadt und der bekannteste Elitenforscher Deutschlands. Seit vielen Jahren untersucht er die Entscheidungsträger in den obersten Positionen aus Politik, Bürokratie, Justiz und Wirtschaft. 4 Dabei musste Hartmann leidvoll erfahren: Keine Gruppe verweigert sich ihrer Erforschung so konsequent wie die Wirtschaftselite. Je größer das Vermögen, desto verschwiegener. »Auch wir Wissenschaftler kommen an diese Leute so gut wie nie ran«, sagt Hartmann. 5
Von den Vermögenden abgewiesen zu werden, gehört auch zu den Alltagserfahrungen der Forscher des Sozio-ökonomischen Panels ( SOEP ), der bedeutendsten empirischen Sozialstudie in Deutschland. In den besseren Kreisen kam es regelmäßig zum kompletten Abbruch des Interviews, sobald nach der Höhe des Vermögens gefragt wurde. Darum hat das SOEP -Team in seinen Fragebögen über viele Jahre gleich ganz auf die Frage danach verzichtet. »Über die Vermögenden wissen wir nur wenig«, klagt Markus Grabka, einer der Forscher des SOEP . 6 Eine Einschätzung, die er mit Wolfgang Lauterbach teilt, Professor an der Uni Potsdam und Autor der größten empirischen Studie über »Vermögen in Deutschland«. 7 »Das Wissen über diese
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