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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten
Autoren: Stanislaw Lem
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Gesicht zum anderen gleiten, erstaunt darüber, wie alle, Alte und Junge, vom gleichen Gefühl erfüllt, in diesem Moment einander ähnlich wurden. Seine Lippen bebten kaum merklich. »Ich wußte es«, flüsterte er. Dann richtete er sich hoch auf, um würdig zu sein, diesen Menschen in die Augen zu sehen, und sagte laut: »Ich danke euch, Kollegen.«
    Er drehte sich um, als suchte er hinter seinem Rücken irgend jemanden; es war aber niemand da. Nur der schwache Schimmer der schwindenden Nacht fiel durch die hohen Fenster.
    Der Vorsitzende trat an den Tisch zurück, schlug mit beiden Händen das große Buch zu, in dem alle, die sich zum Wort gemeldet hatten, eingetragen waren, und sagte: »Hiermit schließe ich die letzte Sitzung der Übersetzungskommission.«
    Beim Verlassen des Saales blieben die Wissenschaftler in den Gängen zwischen den Sesselreihen stehen und bildeten lebhaft diskutierende Gruppen. Um den Tisch des Präsidiums versammelten sich alle, die an der Abfassung des Berichtes teilnehmen sollten. Endlich leerte sich der große Saal; der letzte der Hinausgehenden schaltete das Licht aus.
    In das Dunkel des weiten Raumes hinein glomm die Morgenröte. Die schweren, tief herabhängenden Wolken zerstreuten sich, und am dunkelblauen Himmel begann ein weißer Funke zu leuchten, ein Stern von so reinem und starkem Glanz, daß die Fensterkreuze schwache Schatten in die Tiefe des Saales warfen und verschwommene Umrisse von leerenSesselreihen und kleinen Tischen in der grauen Morgendämmerung sichtbar wurden. Es war die Venus, die den Sonnenaufgang anzeigte. Plötzlich glühte eine feuriggolden umsäumte Wolke auf. Der unbewegliche Funke verblaßte immer mehr, bis er im blendenden Glanz des neuen Tages verschwand.

Zweiter Teil:
Das Tagebuch des Piloten

Der Start
    Ich heiße Robert Smith und wurde vor siebenundzwanzig Jahren als Sohn einer Architektin und eines Flugplatzleiters geboren.
    Nach Abschluß meines Studiums der Mathematik und Physik besuchte ich einen einjährigen Kursus im Zentralen Luftfahrtdienst und wurde Einflieger für neue Flugzeugtypen. Jeden Urlaub aber verbrachte ich in den Bergen. Ich nahm an vielen Expeditionen teil, und mein Name wurde bald, auch außerhalb des Hochtouristenklubs, bekannt. Als ich einmal an irgendeinem Schalter nach meinem Beruf gefragt wurde, sagte ich in meiner Zerstreutheit »Alpinist« anstatt »Pilot«. Obwohl ich mich sofort berichtigte, entsprach eigentlich beides der Wahrheit; denn jetzt kenne ich mich bereits ein wenig und weiß, daß mich unbezwungene Gipfel ebenso reizen wie Flugzeuge, in denen noch niemand aufgestiegen ist.
    Mit fünfundzwanzig Jahren zog ich mit einer Expedition nach dem »Dach der Welt«, dem nördlichen Teil des Pamir. Ein Jahr später befand ich mich unter denen, die den dritthöchsten Berg der Erde, den Kantschindschinga, bezwangen. Diese Expedition hatte den tragischen Tod eines meiner Gefährten zur Folge; ich selbst trug einen Herzschaden davon, so daß ich ein halbes Jahr in den Sanatorien des Südens zubringen mußte. Ich war kaum zum Flugdienst zurückgekehrt, als ich erfuhr, daß eine Expedition nach der Venus geplant sei und daß man einen Piloten für das Aufklärungsflugzeug brauche. Ich meldete mich und wurde aus einigen tausend Freiwilligen ausgewählt.
    Dies alles schreibe ich in der achtundzwanzigsten Stunde unseres Fluges. Wenn ich den Kopf hebe, sehe ich auf dem Schirm des Fernsehgerätes, wie die weiße Scheibe der Erde immer kleiner wird. Mir ist, als hätte ich mein bisheriges Leben abgeschlossen und begänne ein völlig neues. In einem solchen Augenblick ist es wohl erlaubt, einen dicken Strich unter all das zu ziehen, was gewesen ist. Ich weiß, daß ich viele Dinge nie zustande bringen werde, weil mir die Fähigkeiten dazu fehlen. Deshalb habe ich auch nicht versucht, den Weg der Wissenschaft zu beschreiten. Ich weiß, daß ich solcheMenschen wie Chandrasekar, Arsenjew oder Lao Tsu, mit denen ich nun im guten wie im bösen zusammen sein werde, daß ich solche Menschen nie erreichen werde.
    Der Startplatz lag in der früheren Wüste Gobi und war eine erhalten gebliebene Sandfläche von ungefähr tausend Hektar. Ein Flugzeug brachte mich dorthin. Der Pilot, ein Kollege vom Zentralen Luftfahrtdienst, schwieg den ganzen Weg über, zum Teil, weil ihn die schlechte Witterung zur Aufmerksamkeit zwang, zum Teil aber auch, weil er sich ebenfalls um den Platz in der Expedition beworben hatte und abgelehnt worden war. Ich
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