Die Attentaeterin
sang-und klanglos Richtung Heimat verschwunden, kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Kim und ich sind gute Freunde geblieben, und durch unsere enge berufliche Zusammenarbeit ist eine außergewöhnliche Komplizenschaft entstanden.
»Heute gehen die Ferien zu Ende«, erklärt sie mir.
»Die Straßen sind vollgestopft. Hast du versucht, sie bei ihrer Großmutter zu erreichen ?«
»Auf dem Bauernhof gibt es kein Telefon .«
»Ruf sie auf ihrem Handy an .«
»Sie hat es schon wieder zu Hause liegen lassen.«
Sie breitet die Arme schicksalsergeben aus: »Das nenne ich Pech .«
»Für wen?«
Sie zieht ihre prächtigen Brauen in die Höhe und droht mir mit dem Finger: »Das Drama gewisser guter Absichten besteht darin, dass es ihnen an Mut zur Durchsetzung und an Konsequenz im Gedankengang fehlt .«
»Das ist die Stunde der müden Krieger«, sage ich schon im Aufstehen. »Die Operation war anstrengend genug, jetzt müssen wir erst einmal wieder zu Kräften kommen …«
Ich fasse sie am Ellenbogen und schiebe sie in den Korridor.
»Nach Ihnen, schöne Frau. Ich möchte mir diesen Anblick nicht entgehen lassen .«
»Würdest du es wagen, das in Gegenwart von Sihem zu wiederholen ?«
»Nur ein Idiot ändert nie seine Meinung .«
Kims Lachen verhallt im Flur wie das Echo eines Armesünderglöckleins.
Ilan Ros stößt in der Kantine zu uns, als wir gerade mit Essen fertig sind. Mit seinem vollgepackten Tablett lässt er sich rechts neben mir nieder, gegenüber von Kim. Sein Kittel klafft über einem immensen Bauch, und seine Hängebacken glänzen scharlachrot. Als Erstes schiebt er drei Scheiben kaltes Fleisch in sich hinein, dann wischt er sich mit einer Papierserviette über den Mund.
»Suchst du noch immer eine Zweitwohnung ?« , fragt er mich kauend.
»Kommt darauf an, wo .«
»Ich glaube, ich hätte da was Nettes für dich. In der Nähe von Ashqelon. Eine hübsche kleine Villa mit allem, was dazugehört, um mal so richtig abzuschalten.«
Meine Frau und ich suchen schon seit über einem Jahr ein Häuschen am Meer. Sihem liebt das Meer. Jedes zweite Wochenende springen wir, wenn ich nicht gerade Dienst habe, in unseren Wagen und fahren zum Strand. Wir machen lange Spaziergänge im Sand, klettern irgendwann auf eine Düne und versinken bis tief in die Nacht in den Anblick des Horizonts. Der Sonnenuntergang hat auf Sihem eine Faszination ausgeübt, die mir bis heute ein wenig rätselhaft blieb.
»Glaubst du denn, dass mein Portemonnaie das hergibt ?«
Ilan Ros lacht kurz auf, sein puterroter Hals bebt wie Wackelpudding.
»So lange, wie du schon nicht mehr mit leeren Hosentaschen herumläufst, Amin, hast du, denke ich, mehr als genug, um dir die Hälfte deiner Träume zu erfüllen …«
Plötzlich bringt eine gewaltige Explosion die Wände zum Erbeben und lässt die Fensterscheiben in der Kantine vibrieren. Alle sehen sich ratlos an, dann stehen die, die in der Nähe der Panoramafenster sitzen, auf und recken die Hälse. Kim und ich stürzen auf das nächstgelegene Fenster zu. Die Leute, die im Hof des Krankenhauses unterwegs waren, stehen wie angewurzelt, die Köpfe nach Norden gedreht. Die Fassade des Baus gegenüber verstellt uns den Blick.
»Bestimmt ein Attentat«, bemerkt jemand.
Kim und ich rennen hinaus auf den Korridor. Schon taucht ein Trupp Krankenschwestern aus dem Kellergeschoss auf und läuft in Richtung Eingangshalle. Dem Ausmaß der Schockwelle nach zu urteilen, muss die Explosion ganz in der Nähe stattgefunden haben. Einer vom Wachdienst dreht an seinem Funkgerät, um Erkundigungen einzuholen. Sein Gesprächspartner teilt ihm mit, dass er auch nichts weiß. Wir stürzen uns in den Aufzug.
Oben angelangt, rennen wir auf die Dachterrasse des Südflügels. Einige Neugierige sind schon da und starren, die Augen mit den Händen abgeschirmt, zu einer Rauchwolke hinüber, die etwa zehn Häuserblocks weiter in den Himmel steigt.
»Das kommt aus Richtung Haqirya«, berichtet ein Wachposten in sein Funkgerät. »Bombe oder Selbstmordattentat.
Vielleicht eine Autobombe. Ich hab keinerlei Informationen. Alles, was ich sehe, ist der Rauch, der von dort aufsteigt …«
»Wir müssen wieder runter«, mahnt mich Kim.
»Du hast recht . Wir müssen uns darauf vorbereiten, die ersten Opfer in Empfang zu nehmen .«
Zehn Minuten später dringen vereinzelt Informationen durch, die von einem regelrechten Blutbad reden. Manche berichten von einem Angriff auf einen Bus, andere von einem
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