Die Attentaeterin
Wünsche ihn nie einholen konnten … Da ist er, im Hof des Patriarchen, lächelt mich an und ist glücklich, mich wiederzusehen. Sein von strengen Falten zerfurchtes Gesicht bebt vor Freude, derart herzergreifend, dass man meinen könnte, da freut sich ein Kind über die Rückkehr des lange abwesenden Vaters. Er ist mehrfacher Mekkapilger, hat Ruhm und Ehre geerntet, ferne Länder bereist und ist auf legendären Vollblütern durch spektakuläre Landschaften geritten. Er hat für Lawrence von Arabien gekämpft, »diesen weißen Teufel, der aus dem Land des Nebels kam, um Beduinen gegen Ottomanen aufzuhetzen und Zwietracht unter den Mohammedanern zu säen«, hat in der Leibgarde von König Ibn Saud gedient, sich dort in eine Odaliske verliebt und ist mit ihr von der Arabischen Halbinsel geflohen. Doch dem unsteten Wanderleben und der wachsenden Armut hat ihre Liebe nicht standgehalten. Nachdem seine gute Seele ihn verlassen hatte, ist er von Fürstentum zu Sultanat vagabundiert, immer auf der Suche nach einer einträglichen Gelegenheit, hat hier und da ein wenig herumgeräubert, sich in Sanaa als Waffenschmuggler, in Alexandria als Teppichhändler betätigt, bevor er bei der Verteidigung Jerusalems im Jahr 1947 schwer verwundet wurde. Ich kannte ihn anfangs immer nur hinkend, wegen der Kugel im Knie, dann auf einen Stock gestützt wegen eines Herzinfarkts, den er an dem Tag erlitt, als er zusehen musste, wie die israelischen Bulldozer die Obstgärten des Patriarchen verwüsteten, an deren Stelle eine jüdische Siedlung entstand. Heute kommt er mir entsetzlich klein vor, mit seinem leichenblassen Gesicht und dem erloschenen Blick. Wenig mehr als Haut und Knochen, die man auf einem Rollstuhl vergessen hat.
Ich habe ihm die Hand geküsst und mich zu seinen Füßen hingekniet. Seine spitzen Finger strichen mir durchs Haar, während er um Atem rang, um mir mitzuteilen, wie überglücklich ihn meine Rückkehr in den Schoß der Familie macht. Ich habe meinen Kopf an seine Brust gelehnt, wie einst, wenn ich mich bei ihm ausweinen kam, weil dem verwöhnten Kleinen, der ich war, mal wieder ein Sonderwunsch abgeschlagen worden war.
»Mein Doktor«, sagt er mit meckernder Greisenstimme, »mein Doktor …«
Faten, seine Enkelin, inzwischen auch schon fünfunddreißig, steht neben ihm. Auf der Straße hätte ich sie nicht wiedererkannt. Es ist so lange her. Als ich fort bin von zu Hause, war sie ein scheues Mädchen, ständig darauf aus, ihre Cousins zu ärgern, um gleich darauf so behende davonzurennen, als wäre ihr der Teufel auf den Fersen. Die Neuigkeiten, die sporadisch zu mir nach Tel Aviv durchdringen, stellen sie als ausgesprochenen Pechvogel dar. Die Lästerzungen nennen sie die jungfräuliche Witwe. Das Glück ist nicht auf Fatens Seite. Ihr erster Mann ist während des Hochzeitszugs gestorben, der infolge einer dummen Reifenpanne nicht sehr weit kam. Ihr zweiter Verlobter wurde beim Scharmützel mit einer israelischen Patrouille zwei Tage vor der Hochzeitsnacht getötet. Sofort hatten die Klatschweiber den Verdacht zur Hand, dass ein böser Fluch auf ihr liege, und fortan hat kein Anwärter mehr an ihre Tür geklopft. Sie ist ein robustes, bäuerliches Mädchen, geprägt von der täglichen Fron im Haushalt und der Härte des Daseins im weltabgeschiedenen Dorf. Ihre Umarmung fällt kräftig aus, ihr Kuss geräuschvoll.
Wissam nimmt mir meine Tasche ab und bringt mich, nachdem der Älteste meine Hand freigegeben hat, in mein Zimmer. Ich bin schon eingeschlafen, noch bevor mein Kopf das Kissen berührt. Gegen Abend weckt er mich. Faten und er haben den Tisch unter der Weinlaube gedeckt. Sie haben es an nichts fehlen lassen. Der Nestor sitzt am Kopfende des Tisches eingesunken in seinem Rollstuhl. Seine Augen ruhen auf mir: er ist vollkommen selig. Wir essen zu viert im Freien zu Abend. Wissam unterhält uns mit Anekdoten von der Front bis tief in die Nacht hinein. Omr lacht aus den Augenwinkeln, das Kinn tief gesenkt. Wissam ist ein Scherzbold. Ich kann kaum glauben, dass so ein schüchterner Junge wie er einen derart haarsträubenden Humor entwickeln kann.
Beschwingt von seinen Erzählungen kehre ich in mein Zimmer zurück.
Am nächsten Morgen bin ich schon auf den Beinen, als die Nacht bei der ersten Berührung des Tages verblasst. Ich habe wie ein Kind geschlafen. Träume? Vielleicht hatte ich welche, schöne sogar, aber ich erinnere mich an nichts. Ich fühle mich frisch, wie geläutert. Faten hat den Ältesten
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