Die Attentaeterin
jüngste Gattin und einzige Witwe des Patriarchen. Wenn meine Mutter mit mir schimpfen wollte, musste ich nur ihren Namen schreien, und schon wurde ich verschont … Ihre Tränen benetzen mein Hemd. Andere Cousins, Onkels, Neffen, Nichten und andere weibliche Verwandtschaft warten geduldig, bis sie an der Reihe sind, mich zu umarmen und abzuküssen. Kein Mensch nimmt es mir übel, so weit fortgegangen und so lange geblieben zu sein. Alle sind froh, mich wiederzusehen, mich eine Umarmung lang für sich zu haben; alle vergeben mir, dass ich sie jahrelang ignoriert und die blitzenden Neubauten den staubigen Hügeln vorgezogen habe, die großen Boulevards den Ziegenpfaden und den eitlen Tand der Welt den einfachen Dingen des Lebens. Wie ich sie da so vor mir sehe, die mich alle lieben und denen ich doch nichts als ein Lächeln bieten kann, wird mir zum ersten Mal so richtig klar, was ich alles aufgegeben habe. Als ich dieser geknechteten und geknebelten Gegend damals den Rücken kehrte, dachte ich alle Brücken hinter mir abzubrechen. Ich wollte nicht wie die Meinen werden, ihr Elend erleiden, mich mit ihrer stoischen Ergebenheit über Wasser halten. Ich weiß noch, ich trabte ständig hinter meinem Vater her, der mit Leinwand und Pinsel statt Schild und Speer hartnäckig auf Einhornjagd ging, und das in einem Land, in dem einen die alten Legenden nur traurig stimmen. Jeder Kunsthändler, der ihn abwies, vernichtete mit seinem Kopfschütteln uns beide. Es war ungeheuerlich. Mein Vater ließ niemals die Arme sinken, überzeugt, das Wunder eines Tages doch noch erzwingen zu können. Seine Misserfolge machten mich wütend, seine Beharrlichkeit gab mir Kraft. Und wenn ich auf die Obstgärten meines Großvaters, die Spiele meiner Kindheit, ja sogar auf meine Mutter verzichtet habe, dann einzig und allein, um mich nicht von einem albernen Kopfschütteln abhängig zu machen. Das war, so schien mir, die einzige Art, aus meinem Schicksal ein Epos zu machen, da ich für alles andere überhaupt nicht in Frage kam …
Wissam hat drei Hammel geschlachtet, um uns mit einem Spießbraten zu beglücken, der der größten Feste würdig wäre. Das Wiedersehen mit der Sippe geht mir sehr nah, ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Im Galopp kehrt eine ganze verflossene Epoche zurück, so prachtvoll wie orientalische Reiterspiele. Man stellt mir eingeschüchterte Kleinkinder vor, neue Ehepartner, künftige Verwandte. Nachbarn tauchen auf, frühere Bekannte, Freunde meines Vaters und alte Gauner. Es wird ein rauschendes Fest bis in den Morgen hinein.
Am vierten Tag findet das Haus des Patriarchen zu seiner gewohnten Stille zurück und Faten übernimmt wieder die Führung. Tante Najet und der Nestor verbringen ihre Tage im Patio und schauen dem Tanz der Mücken über dem Gemüsegarten zu. Wissam bittet uns um Erlaubnis, nach Dschenin zurückzukehren. Ein Anruf hat ihn zurückbefohlen. Er schnürt sein Bündel, umarmt die beiden Alten und seine Schwester Faten. Bevor er geht, erklärt er mir noch, wie glücklich er ist, mich rechtzeitig kennen gelernt zu haben. Ich habe den Sinn dieses rechtzeitig nicht erfasst, bin von Unruhe erfüllt, seit ich ihn abfahren sah – etwas in seinem Blick hat mich an Sihem erinnert, wie sie am Busbahnhof stand, und an Adel, so in sich versunken im steinigen Patio in Dschenin.
Ich bereue es nicht, bei meinen Verwandten Zwischenstation gemacht zu haben. Ihre Wärme tröstet mich, ihre Großmut beruhigt mich. Ich verbringe meine Tage bald auf dem Hof, wo ich dem Nestor und Hadscha Najet Gesellschaft leiste, bald auf dem Hügel, wo mich der alte Zeev mit seinen Geschichten über die Leichtgläubigkeit der kleinen Leute erwartet.
Zeev ist eine faszinierende Gestalt, ein bisschen verrückt, aber ein Weiser, eine Art Heiliger ohne feste Funktion, der es vorzieht, die Dinge erst einmal zu nehmen, wie sie sind, unvoreingenommen, etwa so, wie man auf einen fahrenden Zug aufspringt, unter dem Vorwand, dass jede neue Erfahrung bereichern kann, selbst wenn man einem ungnädigen Geschick entgegensieht. Läge es nur an ihm, würde er mit Freuden seinen Mosesstab gegen den Besen einer Hexe tauschen und sich einen Spaß daraus machen, seinen Hokuspokus ebenso therapeutisch einzusetzen wie die Wunder, die er den Verdammten verheißt, die ihn um Erbarmen anflehen, seine Armut zur Abstinenz verklärend und sein Außenseitertum zur Askese. Ich habe von ihm viel über die Menschen und mich selbst gelernt. Sein Humor mildert
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