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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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dieser Auslöser betätigt? Adel hat sie nicht danach gefragt. Sihem wusste es vermutlich selber nicht. Eine Ausschreitung mehr im Fernsehen, ein Übergriff auf der Straße, eine aufgeschnappte Beleidigung. Eine Kleinigkeit setzt einen Prozess in Gang, der nicht mehr zu stoppen ist, wenn der Hass sich festgekrallt hat … Adel redet und redet und raucht wie ein Schlot … Ich merke plötzlich, dass ich ihm gar nicht mehr zuhöre. Ich will nichts mehr von alldem hören. Die Welt, die er mir schildert, gefällt mir nicht, diese Welt, in welcher der Tod ein Selbstzweck ist. Für einen Arzt ist das das Letzte. Ich habe so viele Patienten aus dem Jenseits geholt, dass ich mich am Ende fast für einen Gott gehalten habe. Und wenn mich einer auf dem OP-Tisch mal im Stich ließ, wurde aus mir wieder der verwundbare und traurige Sterbliche, der ich nie hatte sein wollen. Ich erkenne mich nicht wieder in dem Verlangen, Leben auszulöschen; meine Bestimmung besteht darin, Leben zu retten. Ich bin Chirurg. Und Adel verlangt von mir, gefälligst zu akzeptieren, dass der Tod zum Ziel werden kann, zum Wunschziel, zu etwas Rechtmäßigem. Er verlangt von mir, zur Tat meiner Frau zu stehen, sie gutzuheißen, mit anderen Worten gerade das zu tun, was meine Bestimmung als Arzt mir bis in die hoffnungslosesten Fälle hinein, bis hin zur Euthanasie, untersagt. Darauf bin ich wirklich nicht aus. Ich will nicht stolz darauf sein, dass ich Witwer bin, ich will nicht auf das Glück verzichten, das mich zum Mann und zum Liebhaber gemacht hat, zum Herrn und zum Sklaven, ich will nicht den Traum begraben, der mich leben ließ, wie ich niemals wieder leben werde.
    Ich schiebe den Beutel vor meinen Füßen beiseite und stehe auf.
    »Komm, lass uns gehen, Adel .«
    Er ist ein bisschen brüskiert, dass ich ihn einfach unterbreche, aber er steht ebenfalls auf.
    »Du hast recht, ammou. Das ist nicht der beste Ort, um von diesen Dingen zu reden .«
    »Ich will überhaupt nicht davon reden. Weder hier noch sonst wo.«
    Er pflichtet mir bei. »Dein Großonkel Omr weiß, dass du in Dschenin bist. Er möchte dich gern sehen. Wenn du keine Zeit hast, ist das nicht weiter schlimm. Ich werde es ihm erklären .«
    »Du brauchst nichts zu erklären, Adel. Ich hab mich niemals von den Meinen losgesagt .«
    »Das habe ich doch nicht gemeint .«
    »Du hast nur laut gedacht .«
    Er weicht meinem Blick aus. »Willst du nicht vorher einen Happen essen oder ein warmes Bad nehmen ?«
    »Nein. Ich möchte von deinen Freunden nichts annehmen. Ich mag weder ihre Küche noch ihre Hygiene. Auch ihre Kleider will ich nicht«, füge ich hinzu und schiebe den Beutel aus dem Weg. »Ich muss in mein Hotel zurück, um meine Sachen zu holen, wenn sie inzwischen nicht schon an die Bedürftigen verteilt wurden .«
    Das Licht im Patio sticht mir in die Augen, aber die Sonne tut gut. Die Milizionäre sind verschwunden. Nur ein junger Mann steht lächelnd neben einem verstaubten Wagen.
    »Das ist Wissam«, sagt Adel. »Der Enkelsohn von Omr.«
    Der junge Mann fliegt mir um den Hals und drückt mich kräftig. Als ich einen Schritt zurücktrete, um ihn genauer anzusehen, versteckt er sich hinter einem verlegenen Lächeln, wegen der Tränen, die in seinen Augen stehen.
    Wissam! Ich hab ihn schon als Schreihals in Windeln gekannt, kaum größer als eine Männerfaust, und jetzt ist er einen Kopf größer als ich, hat einen eindrucksvollen Schnurrbart und steht mit einem Fuß im Grab, in einem Alter, da alle Verrücktheiten anrührend sind, nur nicht die, die er sich ausgesucht hat. Der Revolver, der in seinem Koppel steckt, gibt mir einen Stich ins Herz.
    »Du bringst ihn erst in sein Hotel«, ordnet Adel an. »Er muss da noch ein paar Sachen abholen. Wenn der Empfangschef vergessen haben sollte, wo er sie hingetan hat, frischst du sein Gedächtnis auf .«
    »Kommst du denn nicht mit ?« , fragt Wissam überrascht.
    »Nein.«
    »Vorhin wolltest du doch noch .«
    »Ich hab’s mir anders überlegt .«
    »Einverstanden. Du bist der Boss. Dann vielleicht bis morgen.«
    »Wer weiß ?«
    Ich warte, dass er mich zum Abschied umarmt. Doch Adel bleibt, wo er ist, mit gesenktem Kopf, die Hände in die Hüften gestemmt, und schiebt mit der Schuhspitze einen Kieselstein hin und her.
    »Na dann bis bald«, sagt Wissam noch einmal.
    Adel sieht mich mit schattenumwobenen Augen an.
    Dieser Blick!
    Derselbe Blick, mit dem Sihem mich angesehen hat, an jenem Morgen, als ich sie zum Busbahnhof brachte.
    »Es

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