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Die Attentaeterin

Die Attentaeterin

Titel: Die Attentaeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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tut mir wirklich leid, ammou. «
    »Und mir erst …«
    Er traut sich nicht, näher zu kommen. Ich wiederum helfe ihm nicht, gehe nicht auf ihn zu. Ich will nicht, dass er sich sonst was einbildet. Er soll wissen, dass meine Verletzung unheilbar ist. Wissam öffnet mir den Schlag, wartet, bis ich Platz genommen habe, und schwingt sich auf den Fahrersitz. Der Wagen beschreibt einen Kreis durch den Innenhof, streift Adel fast, der gedankenverloren dasteht, ohne sich zu rühren, und fährt hinaus auf die Straße. Ich möchte diesen Blick eigentlich noch einmal sehen, ihn abtasten, ihn durchleuchten. Doch ich drehe mich nicht mehr um. Weiter unten verzweigt sich die Straße in eine Vielzahl von Gassen und Gässchen. Die Geräusche der Stadt holen mich ein. Das Gebrodel der Menschenmassen betäubt mich. Ich lasse den Kopf gegen die Rückenlehne fallen und versuche, an gar nichts zu denken.
    Im Hotel händigt man mir meine Sachen aus und erlaubt mir, ein Bad zu nehmen. Ich rasiere mich und ziehe mich um, dann bitte ich Wissam, mich ins Land meiner Väter zu bringen. Wir verlassen Dschenin ohne jeden Zwischenfall. Die Gefechte wurden vor einiger Zeit eingestellt, ein großer Teil von Israels Armee ist bereits abgezogen. Mehrere Fernsehteams streifen zwischen den Trümmern umher auf der Suche nach einem Bild des Horrors, das sich verwerten lässt. Unser Weg führt durch endlose Felder, bevor unser Wagen die verlotterte Straße erreicht, die zu den Obstgärten des Patriarchen führt. Ich lasse meinen Blick über die Ebenen schweifen, wie ein Kind, das seinen Träumen nachläuft. Doch der Gedanke an Adels Blick lässt mich nicht los. Dieser von dunklen Schatten umstellte Blick hat mich seltsam berührt, ein Gefühl der Trauer ausgelöst. Ich sehe ihn vor mir, wie er dasteht, in diesem glühend heißen Innenhof. Das ist nicht der Adel, den ich kenne, lustig und großherzig. Das ist ein anderer, eine tragische Gestalt, von dem Verlangen eines Wolfs beseelt, das nicht weiter als bis zur nächsten Mahlzeit reicht, zur nächsten Beute, zum nächsten Massaker. Und dahinter das weiße, jungfräuliche Nichts, wo alles in der Schwebe, alles vage Vermutung bleibt. Er raucht seine Zigarette, als wäre es die letzte, spricht von sich selbst, als wäre er schon fort, und hat in seinem Blick das Halbdunkel der Totenkammern. Eindeutig, Adel ist nicht mehr von dieser Welt. Er hat der Zukunft unwiderruflich den Rücken gekehrt, einer Zukunft, die er nicht erleben will, als fürchte er, sie könne ihn enttäuschen. Er hat die Rolle gewählt, die, wie er wohl meint, am besten zu ihm passt: die Märtyrerrolle. So will er enden, eins mit der Sache, für die er gelebt hat. In die Gedenkstelen ist schon sein Name eingraviert, ins Gedächtnis der Seinen die Erinnerung an seine Heldentaten. Nichts könnte ihn mehr entzücken als Kugelhagel, nichts ihn höher erheben, als einem Scharfschützen in die Schusslinie zu geraten. Wenn er ein reines Gewissen hat, wenn er sich keinerlei Vorwürfe macht, Sihem in den Opfertod getrieben zu haben, wenn für ihn der Krieg die einzige Chance zur Selbstachtung ist, dann, weil er selbst schon ein toter Mann ist und nur auf seine Beerdigung wartet, um in Frieden zu ruhen.
    Ich glaube, ich bin am Ziel. Der Weg bis hierher war fürchterlich, und ich habe nicht den Eindruck, irgendetwas erreicht, eine wie auch immer geartete erlösende Antwort gefunden zu haben. Doch gleichzeitig fühle ich mich erleichtert. Ich erkenne, dass ich am Ende meiner Qualen angelangt bin und von nun an gegen alles gewappnet. Diese schmerzhafte Wahrheitssuche war meine Initiationsreise. Werde ich die Dinge, wie sie sind, jetzt mit anderen Augen sehen, sie in Frage stellen, mich selbst anders dazu verhalten? Sicherlich, aber ich werde nicht das Gefühl haben, einen Beitrag zu etwas Größerem zu leisten. Für mich ist die einzige Wahrheit, die zählt, jene, die mir helfen wird, mich eines Tages wieder zu festigen und zu meinen Patienten zurückzukehren. Denn der einzige Kampf, an den ich glaube, der es wirklich wert wäre, dass man für ihn blutet, ist der des Chirurgen, der darin besteht, das Skalpell gegen das Zepter des Todes zu führen und das Leben neu zu erfinden.

16.
    O mr, das Stammesoberhaupt, unser Nestor, der letzte Atemhauch eines Epos, das vormals unsere abendlichen Runden raunend in den Schlaf gewiegt hat … Omr, mein Großonkel, eben jener, der das Jahrhundert wie eine Sternschnuppe durchquert hat, so geschwind, dass seine

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