Die Attentäterin
Gesetzen der Natur und den Herausforderungen des Überlebens ausgesetzt.
Die Limousine hält vor Adamas fünfstöckigem Stadthaus. Dem Rotschopf ist noch nicht klar, was vorgeht.
Die Anzeichen sind zu versteckt.
Die Eingangshalle von Adamas Stadthaus ist geräumig und breit, marmorgefliest und mit Gemälden und anderen Kurtstgegenständen ausgestattet. Adama führt den Rotschopf, die Auserwählte, durch die linke Tür in das Gesellschaftszimmer. Tikki versperrt die Haustür. Es ist eine massive Tür, massiv genug, um schalldicht zu sein. Ganz so wie der Rest des Hauses.
Die Tür zum Gesellschaftszimmer steht einen Spalt offen. Adamas Stimme ist deutlich zu hören. Er bietet etwas zu trinken an. Er gießt Getränke ein, die leise gluckern, während Eiswürfel in den Gläsern klirren. In poetischem Tonfall sagt er: »Tiger, Tiger, leuchtend hell... in den Wäldern der Nacht. Welche unsterblichen Hände oder Augen können deine beängstigende Symmetrie entworfen haben?«
»Pardon?« fragt die Auserwählte.
Adama kichert, lacht, immer lauter, bis er vor Heiterkeit brüllt. Die Auserwählte versteht immer noch nicht.
Dem läßt sich leicht abhelfen.
Tikki legt ihre Kleidung ab und zwingt die Verwandlung herbei. Ihr Körper streckt sich und wird länger. Ihre Muskulatur schwillt immens an. Blutrotes Fell - mit schwarzen Streifen - bildet sich auf Armen, Körper und Gesicht. Die Hände spreizen sich und
werden zu gewaltigen Pfoten. Sie sinkt auf alle viere. Krallen bilden sich, die Ohren werden spitz und zucken, ihr langer Schwanz schiebt sich aus dem Ende ihres Rückgrats. Ihre Atmung verlangsamt sich und hallt vom drohenden Timbre eines tiefen, langgezogenen animalischen Knurrens wider.
»Was war das?« sagt Adamas Auserwählte, deren Stimme vor Unruhe und Zweifel schwankt.
»Eine Freundin«, sagt Adama gelassen. »Eine gute Freundin.«
»Es klang wie... wie ein Löwe!«
Tikki schreitet zur Tür des Gesellschaftszimmers und versetzt der Tür einen Hieb mit der Pfote, als schlage sie eine Beute. Die Tür fliegt nach innen und kracht gegen die Wand. Der Knall donnert durch das Haus.
Adamas Auserwählte, die in der Mitte des Gesellschaftszimmers steht, dreht sich zur Tür um, dann kreischt sie auf und erfüllt die Luft mit dem Gestank ihres Entsetzens, und das ist gut. Beute sollte immer wissen, daß sie Beute ist, und auch wie Beute reagieren, wenn sie mit dem Jäger konfrontiert wird. Jetzt, in ihrer natürlichen, ihrer wahren Gestalt, ist Tikki sogar für die Spezies groß, der sie so perfekt ähnelt: Panthera tigris altaica, die größten Tiger der Welt.
Tikki knurrt, brüllt dann einmal.
Die Auserwählte schreit.
Adama grinst.
7
Die Nacht ist kühl und wunderbar.
Es ist so still, daß selbst das leiseste Knirschen eines Schuhs auf dem Kies am Straßenrand laut und deutlich zu hören ist. Am Himmel sind ein paar Sterne durch die dunstigen Wolken zu sehen. Eine schwache Brise weht durch die umliegenden Wälder.
Seufzend fragt sie sich, wieviel weiter sie heute nacht noch kommen wird. Es sieht nicht sehr gut aus.
Ihr Name lautet Neona Jaxx, und sie sitzt auf einem Betonklotz, den sie am Straßenrand gefunden hat. Von Zeit zu Zeit stampft sie mit einem ihrer fluoreszierenden pinkfarbenen Reebok-Laufschuhe auf den Boden in der Hoffnung, irgendwelches Krabbelzeugs davon abzuhalten, ihre Beine heraufzuklettem. Die bloße Vorstellung läßt sie erschaudern und lenkt sie von dem rechteckigen Ding in der Tasche ab, die auf ihrem Schoß liegt, wenn auch nie sehr lange.
Die anonyme schwarze Nylontasche enthält einen grauen Makroplastkoffer, der mit dem Fuchi-Logo beschriftet ist. In dem Schutzkoffer befindet sich ein praktisch neuwertiges Fuchi-6 Cyberdeck. Es ist nicht mehr das Beste vom Besten, schon seit einer ganzen Weile nicht mehr, aber es repräsentiert dennoch die raffinierteste Tech, die sie je in den Händen gehalten hat. Neupreis eine Drittelmillion Nuyen. Ein Deck mit echter Power, einer Ladegeschwindigkeit wie Quecksilber und der Fähigkeit, Dinge zu tun, von denen sie bisher nur geträumt hat. Sie kann einfach nicht anders, als die Tasche an sich zu drücken, bis sich die abgerundete Ecke des Schutzkoffers schmerzhaft in ihren Magen bohrt.
Was sie für das Deck bezahlt hat, läßt sich nicht in Nuyen messen. Und das ist es auch, was wirklich schmerzt.
Sie wischt sich Tränen aus den Augen.
Alle ihre Chummer in Miami mochten weder den Johnson noch den Job. Sie hat sie
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