Die Attentäterin
entweder das, oder sie ist nur von außen dunkel und von innen klar. Sie trägt zum Eindruck geballter Kraft bei. Das ist niemand, der mit sich spaßen läßt, Chummer.
Langsam, bedächtig, steht sie auf und ringt sich ein Lächeln ab. »Hoi«, sagt sie.
Anstelle einer Antwort ruckt sein Kinn nach oben, als wolle er wissen, was sie hier macht, was überhaupt los ist.
»Ich warte auf 'ne Mitfahrgelegenheit.«
»Ich hab' eine«, sagt er.
Seine Stimme ist wie ein tiefes Knurren, so intensiv maskulin, daß es fast animalisch ist. Sie jagt ihr einen Schauder über den Rücken. Sie versucht es nicht zu zeigen, das, was ihr Herz plötzlich so rasch schlagen läßt. »Ach ja?«
»Komm näher.«
Ein weiterer Schauder. Sie weiß nicht, ob vor Aufregung oder Furcht. Irgend etwas geschieht hier, aber was? Der Drang, herumzuwirbeln und zu den Bäumen zu laufen, um ihr Leben zu laufen, überfällt sie mit Macht, als Neona einen Schritt näher kommt, dann noch einen. Sie hat das dringende Gefühl, daß er sie durch die verspiegelten Gläser seiner Sonnenbrille von oben bis unten mustert. Unglaublicherweise hofft sie verzweifelt, daß ihm gefällt, was er sieht. Er könnte genau das sein, was sie im Augenblick braucht, mehr als nur eine Mitfahrgelegenheit. Zumindest sieht er so aus, als könne er die Welt für ein Mädchen, das im Programmieren gut und im Kampf schlecht ist, viel sicherer machen. Der Anblick, der sich ihr bietet, ist beeindruckend. Sie mag ihre Männer hart, sogar ein wenig grob. Dieser hier sieht härter aus als die meisten.
Auf die Entfernung von weniger als einem Schritt kann sie jetzt erkennen, daß er dunkel für einen Amerindianer ist, wenn er überhaupt einer ist. Je dunkler desto besser. Bei hellhäutigen Leuten kommt sie sich immer etwas daneben vor wie ein Kuchen, der zu lange im Ofen war und fast schwarz verbrannt ist.
»Was ist in der Tasche?«
Die Frage treibt ihr den Schweiß auf die Stirn. Sie ringt sich ein Lächeln ab. »Nichts. Nur 'n Deck.«
»Ein gutes.«
Wie hat er das erraten? Sie hat absichtlich Wahrheit mit Lüge vermischt, um die tiefere Wahrheit dahinter zu verbergen, das phantastische Deck in ihren Händen. Sie verspürt einen Anflug von richtiger Angst, zuckt jedoch die Achseln und gibt sich alle Mühe, den Schein zu waren. »Es ist ganz anständig.«
»Du bist eine Deckerin.«
»Ja.«
»Eine gute.«
Woher weiß er das? Ein Anflug schwindelerregender Angst mündet in einem unkontrollierten Grinsen. Liest er ihre Aura? Sie fällt tot um, sollte sich herausstellen, daß er ein Magier ist. »Ich bin auch ganz anständig.«
»Du suchst eine Mitfahrgelegenheit?«
Macht er Witze? »Klar.«
»Wie heißt du?«
»Die Leute nennen mich Angel.«
»Hol deine Sachen, Angel.«
»Okay.« Sie ist praktisch atemlos und grinst, als sie sich umdreht und zurück zum Seitenstreifen geht. Bei diesem Burschen bekommt sie wackelige Knie. Sie hat noch nie jemanden kennengelernt, der so einen starken Eindruck auf sie gemacht hat. Er ist gerade umheimlich genug, um echt zu sein, aber nicht so unheimlich, daß sie vor ihm davonlaufen würde. Sie stolpert und stürzt beinahe der Länge nach, als sie sich bückt, um ihren kleinen Rucksack aufzuheben. Gut, daß sie mit leichtem Gepäck reist. Sie fühlt sich viel zu verwirrt, um sich mit schwerem Gepäck auch nur befassen zu wollen. Sie wirft sich den Rucksack über eine Schulter, das Fuchi-6 über die andere, und wendet sich wieder an den Motorradmann.
Sie kann nicht aufhören zu lächeln.
»Wie soll ich dich nennen?« fragt sie.
»Ripsaw.«
Weitere Schauer auf ihrem Rücken. Der Name paßt zu ihm. Jede Waffe, die er benutzte, würde hart und scharf wie Messerklauen sein. Alles, was weniger bedrohlich ist, würde absurd wirken.
»Mach voran.«
»Okay.« Diese knurrige Stimme verwandelt sie in Butter. Sie schwingt ein Bein über den Sozius, der gerade hoch genug ist, daß sie über Ripsaws Schultern sehen kann. Das Motorrad bewegt sich nicht, schwankt nicht, steht da wie in Stein gemeißelt, bis sie sich auf ihrem Sitz niedergelassen hat. Dann röhrt der Motor auf, und der Hobel fährt einen Halbkreis, bevor er auf der Straße beschleunigt, die so gerade wie ein Pfeil verläuft.
Es sind immer noch ein paar Stunden bis zum Morgengrauen, als sie in die Einfahrt zu einer Raststätte einbiegen. Im Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Trucks kann Neona ihren ersten ungehinderten Blick auf Ripsaws Jacke werfen. Das Kunstleder trägt das
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