Die Augen der Toten 01 - Die Augen der Toten Teil 1
dich schon mal in die Küche. In der Mikrowelle steht ein Teller mit Lasagne, falls du Hunger hast.“
Ich war in der Tat hungrig. Zu Mittag hatte ich nur einen Toast runterwürgen können. Ich stellte die Mikro auf drei Minuten ein, legte Besteck auf den Küchentisch und schlenderte zurück zum Badezimmer.
„Sorry, dass ich erst so spät komme. Du glaubst nicht, was heute noch so alles passiert ist.“ Ich schob die angelehnte Badezimmertür ein Stück weiter auf. Eva stand vor dem Spiegel und kämmte ihr Haar mit Gel zurück.
„Ich hab keine Zeit, Philip. Um acht bin ich im Grand Café verabredet.“
Ich betrachtete sie überrascht. Sie war dezent geschminkt und trug ein umwerfendes Stretchkleid. „Du hast ein Date? Kenn ich den Glücklichen?“
„Wüsste nicht, was dich das angeht.“ Eva schlängelte sich an mir vorbei und kramte im Flur in ihrem Schuhschrank.
„Du riechst wie ein Douglas-Laden“, sagte ich, während aus der Küche der Signalton der Mikrowelle plärrte.
„Hör ich da so was wie Eifersucht?“ Ein Paar hochhackige Stiefel in Händen, hastete sie in ihr Schlafzimmer. „Was hast du denn erwartet? Eine mit den Hufen scharrende Ex, die dich wollüstig bespringt?“ Ihr Gesicht erschien wieder im Türrahmen. „Jetzt guck nicht so. Früher oder später musst du dich deiner Trauer und deinen Ängsten stellen. Du allein, Philip. Niemand kann dir das abnehmen. Auch ich nicht.“
„Sagst du mir auch, wo ich anfangen soll?“
„Philip, bitte mach mir kein schlechtes Gewissen.“ Sie schnappte sich den Schlüsselbund. „Das ist nicht fair.“
Ich rang mir ein Lächeln ab. „Mach dir einen schönen Abend, Eva.“
„Danke.“ Sie hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Und keine Besäufnisse in meiner Wohnung. Du brauchst nicht auf mich zu warten. Wird spät werden. Wir sehen uns morgen.“ Sie öffnete die Tür, hielt dann aber noch einmal inne. „Fast hätte ich es vergessen. Morgen früh um zehn findet im Polizeipräsidium eine Pressekonferenz statt. Vielleicht solltest du mal deine Beziehungen spielen lassen.“
Als der Abspann auf dem Bildschirm erschien, setzte ich mich vom Sofa auf und schaltete den Fernseher aus. Der Film, ein martialischer Actionstreifen mit Rambo-Moral, hatte mich nicht gerade gepackt – passte aber besser zu meiner Gemütsverfassung als ein Schmachtfetzen.
Eva traf sich mit einem anderen Typen. Na herzlichen Glückwunsch. Sicher würde dieser Arsch früher oder später auch bei ihr übernachten. Das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. Seit unserer Trennung brachte mich die Vorstellung, ein anderer könne sie berühren, wie ich sie berührt habe, fast um den Verstand. Mir fehlte Evas Augenrollen, wenn ich sie zum x-ten Mal mit meinem AStA-Kram nervte. Mir fehlte, wie sie beim Lesen ihre sinnlichen Lippen bewegte, als ob sie die Wörter schmecken könnte. Ich vermisste das chinesische Schriftzeichen auf ihrem linken Schulterblatt, ihren Bauchnabel, die winzigen Muttermale, die ihren Körper sprenkelten wie Mohnstreusel. Nichts und Niemand konnte das Vakuum füllen, das Eva Kamp in meinem Leben hinterlassen hatte.
Ich stand auf und ging zum Telefon. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang verschlafen.
„Hallo?“
„Philip Kramer. Hab ich dich geweckt?“
Ein unterdrücktes Gähnen setzte ein. „Lass mich raten, du willst alte Schulden eintreiben, hab ich Recht?“
„Hab ich dir jemals gesagt, wie sehr ich deine Kombinationsgabe bewundere?“
„Was soll das werden?“ Ein erneutes Gähnen ertönte. „Fast hätte ich vergessen, wie charmant du sein kannst.“
„Hör zu, du musst mir einen Gefallen tun. Hast du morgen früh schon was vor?“
Kaleidoskopeffekte
Martin Rensing saß in der Kantine des Polizeipräsidiums und überprüfte ein letztes Mal seine Notizen. Bis zum Beginn der Pressekonferenz blieb ihm noch eine halbe Stunde Zeit, und wie immer bei derartigen Veranstaltungen, plagte ihn Lampenfieber.
Den ganzen Morgen hatte er auf seinen geliebten Kaffee verzichtet, um nicht in die peinliche Situation zu geraten, seinen Vortrag für einen Toilettengang unterbrechen zu müssen. Seinem patzigen Verhalten den Kollegen gegenüber war unschwer zu entnehmen, dass ihn der Koffeinentzug reizbar machte, und in einem kurzen Moment der Schwäche war er versucht, seinen Vorsatz zum Teufel zu jagen. Doch als Hilde, die gichtgeplagte, stets mürrisch dreinblickende Kantinenpächterin, gerade die Kanne ansetzen wollte, mahnte
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