Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
Herrn Faustini an. Auf die Zukunft!, sagte er, was immer sie bringen mag! Meine Frau, fuhr Herr van der Hooch fort, ist sogar so munter, dass sie mich eines Morgens um fünf Uhr auf dem Dachboden überraschte, wie ich völlig nackt den gusseisernen Ofen meines Vaters, den wir noch nie benützt haben, umarmte. Ich weiß selbst nicht, was ich mit dem Ofen wollte. Erst als sie meinen Namen rief, wachte ich auf und bemerkte, dass ich im Adamskostüm war. Sie schaute mich an mit diesem Blick, den ich noch nie an ihr gesehen hatte. Es ist so weit, dachte sie, jawohl, so sah sie drein, er ist verrückt geworden. Und ich sitze da mit dem ganzen Schlamassel und einem Verrückten im Haus, der mitten in der Nacht nackt einen gusseisernen Ofen umarmt. Sie nahm meine Hand und brachte mich zu Bett, als wäre ich fünf Jahre alt und von zu Hause abgehauen.
Herr van der Hooch nahm einen großen Schluck Wein. Plötzlich schien es, als zögen sich seine Augen in ihre Höhlen zurück. Er rieb zwei Finger gegeneinander, als beunruhige ihn etwas.
Irritiert es Sie auch so, wenn ihr Nachbar zum Beispiel seinen Koffer vor der Tür stehen lässt? Mag sein, dass er zu wenig Stauraum hat. Das ist aber noch lange kein Grund, den Koffer vor der Türe zu lagern, wo andere ihn sehen können. An einem Koffer ist nichts Unanständiges, werden Sie sagen. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht. Aber ein Koffer ist so etwas wie ein Ersatzhaus. Wenn ich mein Ersatzhaus vor die Türe stelle, bedeutet das, dass ich nicht wirklich zu Hause bin. Ich bin hier und doch nicht hier. Ständig fließt mein Zuhause mir davon, ohne dass ich weiß, warum. Es ist der Koffer, der in die Ferne will. Ein Koffer ist zum Reisen da. Er versorgt uns mit dem, was wir auf der Reise brauchen. Aber er hat auch ein Eigenleben. Ein Koffer ist ein stummer Diener. Als Koffer vor der Tür kann er auch zum Diktator werden, vor allem für den Nachbarn!
Herr Faustini sah Herrn van der Hooch an, der im Begriff war, sich in eine Spirale hineinzureden. Es bestand keine Ähnlichkeit mit Herrn Faustinis früherem Nachbarn im fernen Hörbranz. Der hatte ihm nämlich die gleiche Geschichte erzählt, nur dass dessen Koffernachbar eine Stewardess gewesen war. Herr Faustini hatte nicht gewusst, dass es eine Kofferallergie gab, die scheinbar gar nicht selten auftrat. Er äugte heimlich zu den verlassenen Instrumenten der Tanzkapelle, denn Musik hat schon so manchen Spiralen-Kopf wieder in die Spur gebracht.
Ich werde es meinem Nachbarn endlich sagen, fuhr Herr van der Hooch fort, es geht so nicht weiter. Der Koffer muss weg. Das ist ja kein Leben, ständig den Koffer vor der Nase. Es genügt schon, dass unser Sohn überall seine Papierstapel hinterlässt. Ich weiß nicht, weshalb jemand so viel Papier braucht. Wenn ich einen Haufen wegräumen möchte, jault er auf, sagt, das wären wichtige Dokumente, Notizen, die ich nicht in Unordnung bringen dürfe. Jedes Mal ist es was anderes. Vergeblich versuche ich ihm beizubringen, dass man vor die Hunde geht, wenn man anfängt, Zeug auf dem Boden zu stapeln. Das ist, als würde so ein Stapel die Luft aus dem Zimmer abziehen. Da wird man zum Asthmatiker zwischen den Papierstapeln am Boden. Mein Sohn, fuhr Herr van der Hooch fort, will mich nicht verstehen. Nicht genug, dass er mit seinen achtunddreißig noch zu Hause wohnt. Meine Frau wäscht und bügelt für ihn, und wenn er eine Miene verzieht, kocht sie schon eine Extrawurst für ihn. Das alles wäre mir egal, wenn er bloß aufhören würde, seine Papiere auf dem Boden zu stapeln.
Ein Blick hinüber zu den verwaisten Instrumenten zeigte, dass die Tanzkapelle sich noch immer von den Strapazen der letzten Musikeinlage erholte.
Ein Leben auf dem Kreuzfahrtschiff, dachte Herr Faustini bei sich, würde ihn bewahren vor Papierstapeln auf dem Boden. Unterwegssein bedeutete auch schwerelos sein, fern von der Stromrechnung, der Gratiszeitung Wann & Wo am Sonntag vor der Haustüre, Meinungssondierungsanrufen zur nächsten Wahl, die er ohnehin schwänzen würde, fern von der Versuchung, abends im Ohrensessel vor dem Fernseher zu resignieren. Herr Faustini spürte den Sog der Weite. Er konnte gehen, aufbrechen, wohin er wollte. Der Rhein floss ins Nordmeer, von dort gingen Schiffe ab in alle Häfen der Welt. Es lag an ihm, ob er bald wieder Spülmittel und Katzenfutter im Sutterlüty in Hörbranz kaufen, oder ob er im weißen Leinenanzug durch die Straßen von Hong Kong, von Bombay und Honolulu schlendern würde.
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