Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman
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Ein regenfreier Samstagnachmittag. Die Werkbänke waren verwaist, Maschinen verrichteten in glühenden Hallen Dienst, beaufsichtigt von blassen übernächtigten Menschen. In den Gärten wurden die Gerätschaften angeworfen. Frauen knieten über Blumenbeeten, während ihre Männer im Unterhemd mit hochroten Köpfen den heulenden Rasenmäher vor sich herschoben. Allein die Kinder verschleuderten sorglos ihre Kräfte. Herr Faustini war in seinem wilden Garten um sein altes Haus im kleinen Dorf Hörbranz umzingelt von Rasenmähern und Meistern der Gartenverschönerung. Die Grillen, die eben noch ihren wunderbaren Klangteppich über die Wiese seiner Nachbarin, Frau Gigele, legten, waren verstummt. In der Nähe das Tuckern eines Baukrans, einzelne Rufe, ein Lastwagen fuhr mit lautem rhythmischen Piepsen rückwärts auf die Baustelle. Ein Fertigteilhaus, das seine Fertigstellung nicht erwarten konnte. Deshalb wurde auch samstagnachmittags gebaut. Garantiert schwarzarbeitfrei. Wo war das Glühwürmchen, das letzte Nacht allein den ganzen Garten erleuchtet hatte?
Die Samstagnachmittage gehörten den Rasenmähern. Es sei denn, es lag Schnee. Dann wartete man ungeduldig – man sprach in den Vorgärten zwischen zwei Gartentüren davon – auf die heraufkommende Rasenmähersaison. Manchmal, wenn Herr Faustini einen seiner Nachbarn seinen Rasenmäher schieben sah, fragte er sich, ob der Mensch den Kampf gegen das wuchernde Gras je gewinnen würde. Er, Faustini, freute sich, besonders nach einem langen Winter, kindisch am überall austreibenden grünen Leben. Der Mensch in dieser Talschaft rüstete bei einem Blick in den wiedererwachenden Garten sogleich das Gartengerät. In den Stunden der allgemeinen Rasenmäherbegeisterung fühlte sich Herr Faustini wie aus der Landschaft herausgeschnitten. Seine Nachbarn waren ihm ganz fremd.
Ausgenommen Frau Gigele, die morgens manchmal selbstvergessen mit Lockenwicklern im Haar im Garten zugange war. Auch Herrn Faustinis Kater schätzte Frau Gigeles Nachbarschaft. Auf seinen Streifzügen machte er regelmäßig Station bei ihr, ließ sich den Hals kraulen, und musste meist nicht lange auf einen Leckerbissen warten.
Ein kleines Mädchen erschien auf der Terrasse der namenlosen neuen Nachbarsfamilie mit einem Eis in der Hand, an dem sie hastig und verstohlen lutschte. Da fuhr sie unter der Zurechtweisung ihrer Mutter so zusammen, dass ihr das Eis aus der Hand fiel. Nun schimpfte die Mutter sie aus, das Mädchen schrie los. Die Mutter schimpfte lauter, und das Mädchen schrie aus Leibeskräften.
Für Herrn Faustini war dies das Zeichen zum Aufbruch. Er richtete dem Kater für alle Fälle seinen Futternapf mit einer Schale frischem Wasser, versperrte sein Haus und ging zur Bushaltestelle. Nicht lange, und er schaukelte ölgedämpft am Seeufer entlang nach Bregenz. Der Bahnhof war menschenleer. Ein klappriges altes Fahrrad trug einen Mann durchs Bild, der sich, seinem Gesichtsausdruck nach, in einer Stunde nicht mehr daran erinnern würde, je auf einem Fahrrad gesessen zu haben.
Das gleichförmige Quietschen der Radkurbel stand unbeweglich in der Luft vor den überlebensgroßen Köpfen der Lokalpolitiker, die jeden Platz, jede Straßenkreuzung, jede Verkehrsinsel, jede Plakatwand besetzten. Herr Faustini ging durch die Gesichter hindurch, von denen jedes Übermenschliches zu leisten versprach. Der Landeshauptmann hatte ganz alleine das Krankenkassengeld zurückgeholt, das der gierige Fiskus in Wien aus dem rechtschaffenen Vorarlberg herausgepresst hatte. Zudem liebte er die Jugend, versprach höchstpersönlich jedem einzelnen Lehrlingsanwärter eine Lehrstelle, hätschelte die Alten und begleitete voller Tatkraft die unaufhörlich aufstrebende heimische Wirtschaft. Der junge Kandidat der Freiheitlichen Partei ließ die Welt unmissverständlich wissen, dass ohne ihn weder Sicherheit noch Fortschritt, noch die Pensionen garantiert, ja nicht einmal Strom und fließendes Wasser je Einzug in diesem Land gehalten hätten, das in Sachen Wasserkraft und Elektrizitätsgewinnung immerhin seit hundert Jahren erschlossen war. Herr Faustini ging durch die Parolen hindurch wie er auch durch einen Regenguss hindurchging, an dessen Einsetzen er nichts ändern konnte. Sein Beitrag zum politischen Leben des Landes bestand seit einiger Zeit darin, dass er nicht mehr wählen ging. Zum ersten Mal war die Wahlpflicht an diesem Wahlsonntag aufgehoben. Das bedeutete für Herrn Faustini, dass die Wahlkommission
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