Die Auserwaehlte
hielt ihm stand. Sie wußte, daß sie grimmig aussah, daß ihr Gesicht mitgenommen und blaß war, aber sie wußte ebenfalls, daß sie sich angesichts dieser Neuigkeiten sehr gut gehalten hatte. Keyoke schaute wieder nach vorn, während er auf die nächste Frage oder einen weiteren Befehl seiner Herrin wartete.
Die Aufmerksamkeit eines Mannes, auch wenn es sich um ein langjähriges Mitglied des Hauses handelte, veranlaßte Mara, Bilanz über sich zu ziehen, ohne Illusionen, weder besonders kritisch noch allzu schmeichelnd. Sie war eine gutaussehende junge Frau, nicht auffallend hübsch, besonders dann nicht, wenn sie ihre Brauen in Gedanken wölbte oder vor Ärger die Stirn runzelte. Aber ihr Lächeln konnte ziemlich entwaffnend sein – zumindest hatte ein Junge es einmal behauptet –, und sie besaß etwas eigenartig Gewinnendes, eine geistvolle Energie, die sie manchmal sehr lebhaft erscheinen ließ. Sie war schlank und bewegte sich mit einer gewissen Geschmeidigkeit, und ihr Körper hatte den Blick von mehr als nur einem Sohn benachbarter Häuser auf sich gezogen. Jetzt würde sie einen dieser Söhne zu ihrem Verbündeten machen müssen, um sich der Woge des Schicksals entgegenstellen zu können, die die Acoma auszulöschen drohte. Mit halbgeschlossenen Augen dachte sie an die ungeheuerliche Verantwortung, die jetzt auf ihr lastete. Sie begriff mit einem flauen Gefühl im Magen, daß ihre Vorzüge als Frau – Schönheit, Geist, Charme, Liebreiz – jetzt alle in den Dienst der Acoma gestellt werden mußten, zusammen mit dem, was immer die Götter ihr an Intelligenz mitgegeben haben mochten. Sie kämpfte gegen die Furcht an, daß ihre Fähigkeiten möglicherweise dieser Aufgabe nicht gewachsen waren; und dann, bevor sie es merkte, rief sie sich die Gesichter ihres Vaters und ihres Bruders in Erinnerung. Trauer stieg in ihr empor, aber sie zwang sie tief in ihr Inneres zurück. Schmerz und Trauer mußten bis später warten.
»Wir haben noch vieles zu besprechen, Keyoke, aber nicht jetzt«, sagte Mara weich. In dem Gewimmel, das auf den Straßen der Stadt herrschte, konnten sich überall Feinde verbergen: Spione, Attentäter oder verkleidete Informanten. Mara schloß wieder die Augen vor den Schrecknissen, die nicht nur ihre Einbildung, sondern auch die reale Welt bereithielt. »Wir werden uns unterhalten, wenn nur jene Ohren zuhören können, die den Acoma loyal gesonnen sind.« Keyoke grunzte Zustimmung. Still dankte Mara den Göttern, daß sie ihn verschont hatten. Er war ein Fels, und einen solchen würde sie an ihrer Seite benötigen.
Erschöpft ließ Mara sich wieder in die Kissen zurücksinken. Sie mußte ihre Trauer beiseite schieben, um nachdenken zu können. Der mächtigste Feind ihres Vaters, Lord Jingu von den Minwanabi, hatte eines seiner Lebensziele, die Auslöschung der Acoma, beinahe erreicht. Die Blutfehde zwischen den Acoma und den Minwanabi existierte bereits seit Generationen, und wenn es auch keinem Haus gelang, das andere zu beherrschen, so mußte doch immer wieder das eine oder andere darum kämpfen, sich selbst zu schützen. Aber jetzt waren die Acoma nachhaltig geschwächt worden, und die Minwanabi standen auf der Höhe ihrer Macht, maßen ihre Stärke sogar mit der Familie des Kriegsherrn. Jingu besaß bereits seine eigenen Vasallen. Einer der ersten war der Lord der Kehotara, dessen Macht der von Maras Vater entsprochen hatte. Und je höher der Stern der Minwanabi stieg, desto mehr würden sich mit ihm verbünden.
Lange Zeit blieb Mara hinter den flatternden Vorhängen verborgen. Nach außen erschien es, als würde sie schlafen. Ihre Situation war von trauriger Eindeutigkeit. Alles, was dem Lord der Minwanabi noch im Weg stand, war sie, ein junges Mädchen, das nur zehn Schläge davon entfernt gewesen war, eine Dienerin Lashimas zu werden. Dieser Gedanke hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. Nun, wenn sie zumindest so lange überleben wollte, um die Ehre der Familie wieder herstellen zu können, würde sie über ihre Möglichkeiten, einen Plan und eine Strategie nachdenken müssen, und sie würde sich am Spiel des Rates beteiligen müssen. Irgendwie würde sie einen Weg finden müssen, wie sie den Lord einer der Fünf Großen Familien des Kaiserreiches von Tsuranuanni daran hindern konnte, seinen Willen durchzusetzen.
Mara blinzelte und zwang sich aufzuwachen. Sie hatte unruhig gedöst und versuchte ihre Anspannung zu mildern, während die Sänfte durch die
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