Die Auserwaehlte
geschäftigen Straßen von Kentosam, der Heiligen Stadt, getragen worden war. Jetzt ruckelte die Sänfte etwas, als sie am Kai abgesetzt wurde.
Mara warf einen Blick durch die Vorhänge, doch sie war zu benommen, um Vergnügen am Treiben der Leute bei den Docks zu finden. Als sie die Heilige Stadt zum ersten Mal gesehen hatte, war sie gefesselt gewesen von der farbenfrohen Vielfalt der Menge, von den vielen Menschen, die aus allen Ecken des Kaiserreiches zu kommen schienen. Schon der bloße Anblick der Hausboote, die von den Städten flußaufwärts und flußabwärts kamen, hatte sie erfreut. Mit Bannern geschmückt schaukelten sie an den Anlegestellen hin und her; zwischen den geschäftig an ihnen vorbeieilenden Handelskähnen hatten sie einen ebenso stolzen Eindruck hinterlassen wie aufgeputzte Vögel zwischen Hühnern auf einem Bauernhof. Alles, das Aussehen, die Geräusche, die Gerüche, war so anders gewesen, als sie es von den Ländereien ihres Vaters gewohnt war – ihren eigenen Ländereien jetzt, verbesserte sie sich still. Die Erkenntnis brachte den Schmerz zurück, und sie bemerkte die Sklaven nicht, die sich in der grellen Sonne plagten. Ihre schwitzenden, nahezu nackten Körper waren rußbedeckt, während sie große Ballen auf die Flußkähne hievten. Im Gegensatz zum ersten Mal, als sie in der Begleitung der Schwestern Lashimas hierhergekommen war, errötete sie jetzt nicht. Männliche Nacktheit war nichts Neues für sie gewesen; als Kind hatte sie in der Nähe der Unterkünfte der Soldaten gespielt, während die Männer badeten, und jahrelang war sie mit ihrem Bruder und Freunden in dem See oberhalb der Needra-Weide schwimmen gegangen. Doch der Anblick nackter Männer schien nun, nachdem sie der Welt des Fleisches entsagt hatte, etwas anderes zu sein. Und als die sie begleitende Schwester Lashimas befohlen hatte, nicht hinzuschauen, war der Wunsch, verstohlene Blicke auf die Männer zu werfen, nur um so stärker geworden. An diesem Tag hatte sie sich regelrecht zwingen müssen, nicht auf die schlanken, muskulösen Körper zu starren.
Heute jedoch vermochten die Körper der Sklaven keinen Reiz auf sie auszuüben, ebensowenig wie die Rufe der Bettler, die all denen die Segnungen der Götter versprachen, die sich entschieden, eine Münze mit den weniger Glücklichen zu teilen. Mara ignorierte auch die Flußschiffer, die in der hochmütigen Flaltung derer vorbeibummelten, die ihr ganzes Leben auf dem Wasser verbracht hatten und die Landbewohner insgeheim verachteten; sie hatten laute, harte Stimmen und einen ungehobelten Humor. Alles schien viel weniger farbig, weniger lebhaft und längst nicht mehr so einnehmend, als sie jetzt mit schlagartig älter gewordenen Augen um sich blickte. Die Zeit, da sie einfach nur staunen und sich dem Wunder überlassen konnte, war vorbei. Jetzt warf jede sonnenbeschienene Fassade einen dunklen Schatten. Und in diesen Schatten schmiedeten die Feinde neue Pläne.
Mara stieg schnell aus der Sänfte. Trotz des weißen Umhangs, der sie als Novizin Lashimas kennzeichnete, behielt sie die Würde bei, die von der Herrin der Acoma erwartet wurde. Sie blickte unbeeindruckt nach vorn, während sie auf die Barke zuging, die sie flußabwärts nach Sulan-Qu bringen würde. Papewaio bahnte ihr den Weg, indem er ein paar gewöhnliche Arbeiter grob zur Seite drängte. Andere Soldaten strömten an ihnen vorbei, in strahlende Farben gekleidete Wächter, die ihre Herren auf dem Weg vom Anlegeplatz zur Stadt begleiteten. Keyoke behielt sie wachsam im Auge, als er neben Mara das Dock überquerte.
Als die beiden Offiziere sie die Laufplanke hinaufdrängten, sehnte Mara sich nach einem dunklen, ruhigen Ort, an dem sie sich ihrer Trauer hätte hingeben können. Aber im gleichen Augenblick, da sie ihren Fuß auf das Deck gesetzt hatte, eilte der Bootsmeister zu ihr, um sie zu begrüßen. Seine kurze, rotviolette Robe wirkte beinahe zu grell nach der nüchternen Kleidung der Priester und Schwestern in dem Orden. Jadeschmuck klimperte an den Handgelenken, als er sich unterwürfig verneigte und seiner vornehmen Passagierin die beste Unterbringung anbot, die sein bescheidenes Boot zu bieten hatte – ein Stapel Kissen unter einem runden Baldachin, von dessen Rand ein Gazevorhang herabhing. Mara ließ den Mann weiter katzbuckeln, bis sie sich gesetzt hatte, denn dies erforderte die Höflichkeit, sollte der Mann nicht unnötigerweise sein Gesicht verlieren. Nachdem sie sich niedergelassen hatte, ließ
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