Die Auserwaehlte
ihrem Lieblingsbild vorbeikamen: Es zeigte, wie Lashima in der Verkleidung eines alten Weibes den Streit zwischen einem Bauern und seiner Frau schlichtete. Mara wandte ihren Blick von den Bildern ab, denn sie gehörten zu einem Leben, das ihr jetzt verschlossen bleiben würde.
Nur zu bald erreichte sie die Türen, die nach draußen führten. Einen Augenblick hielt sie auf der obersten Stufe der abgewetzten Marmortreppe inne. Im Hof unter ihr hatte sich eine halbe Kompanie Wachen in den strahlenden grünen Rüstungen der Acoma versammelt. Einige zeigten frisch verbundene Wunden, aber sie alle nahmen Haltung an und salutierten mit der Faust auf dem Herz, als ihre Herrin in Sicht kam. Mara schluckte ihre Angst hinunter: wenn verwundete Soldaten als ihre Eskorte dienten, mußte der Kampf tatsächlich sehr heftig gewesen sein und vielen mutigen Kriegern das Leben gekostet haben. Maras Wangen röteten sich vor Wut darüber, daß die Acoma gezwungen waren, ein solches Zeichen der Schwäche zu liefern. Dankbar über die Tempelrobe, die ihre zitternden Knie verbarg, schritt sie die Stufen hinab. Am Fuß der Treppe stand eine Sänfte, bei der ein Dutzend Sklaven schweigend wartete. Als die Lady der Acoma Platz genommen hatte, bezogen Papewaio und Keyoke links und rechts der Sänfte Position. Auf Keyokes Kommando ergriffen die Sklaven die Stangen und hoben die Sänfte auf ihre schweißbedeckten Schultern. Maya saß starr da, umgeben von dem Schleier der leichten, bestickten Vorhänge, während die Soldaten sich vor und hinter ihrer Herrin aufstellten.
Die Sänfte schwankte leicht, als die Sklaven auf den Fluß zugingen. Vorsichtig wählten sie einen geeigneten Weg durch die Menschenmenge, die die Straßen der Heiligen Stadt bevölkerte. Sie überholten Wagen, die von trägen sechsbeinigen Needras gezogen wurden, und wurden wiederum selbst überholt von rennenden Boten und hastigen Trägern, die mit Bündeln auf Kopf und Schultern zu Kunden eilten, die bereit waren, für außergewöhnlich schnelle Lieferung einen besonderen Preis zu zahlen.
Der Lärm und das Gewirr des Marktes vor den Toren ließen Mara erneut zusammenschrecken; im Schutz des Tempels hatte sie den Schock über Keyokes Auftauchen noch nicht richtig wahrgenommen. Jetzt, da die Erkenntnis sie überwältigte, kämpfte sie gegen den Impuls an, Tränen auf den Polstern der Sänfte zu vergießen. Sie wollte noch nicht sprechen, als könnte die Stille die Wahrheit zurückhalten. Aber sie war eine Tsurani – und eine Acoma. Feigheit würde weder die Vergangenheit ändern noch die Zukunft für immer hinausschieben. Sie holte tief Luft. Dann, während sie den Vorhang zur Seite zog, um Keyoke sehen zu können, sprach sie aus, was niemals in Zweifel gestanden hatte.
»Sie sind beide tot.«
Keyoke bejahte mit einem kurzen Nicken. »Euer Vater und Bruder wurden zu einem sinnlosen Angriff gegen eine barbarische Streitmacht gezwungen. Es war Mord.« Sein Gesicht zeugte von Gelassenheit, doch seine Stimme verriet die Bitternis, während er forsch neben seiner Herrin herschritt.
Die Sänfte schaukelte, als die Sklaven einem Wagen mit hoch aufgetürmten Jomach-Früchten ausweichen mußten. Sie folgten jetzt einer Straße, die hinunter zum Kai führte. Mara betrachtete ihre geballten Hände. Mit all ihrer Konzentration zwang sie die Faust, sich langsam zu öffnen und zu entspannen. »Erzählt mir, was geschehen ist, Keyoke«, sagte sie nach einer Zeit des Schweigens.
»Als der Schnee in der barbarischen Welt schmolz, wurden wir ausgeschickt, um uns einem möglichen Angriff der Barbaren entgegenzustellen.« Die Rüstung quietschte, als der alte Krieger die Schultern straffte und gegen die Erinnerung an Erschöpfung und Niederlage ankämpfte. Doch seine Stimme blieb gelassen. »Die Soldaten der barbarischen Städte Zun und LaMut befanden sich bereits auf dem Schlachtfeld, viel früher als erwartet. Wir schickten unsere Läufer zum Kriegsherrn, der in einem Tal in jenen Bergen lagerte, die die Barbaren die Grauen Türme nennen. Der Kriegsherr war abwesend, und so befahl sein Unterkommandeur Eurem Vater, die Barbaren anzugreifen. Wir –«
Mara unterbrach ihn. »Dieser Unterkommandeur ist ein Minwanabi, nicht wahr?«
Keyokes wettergegerbtes Gesicht zeigte einen Hauch von Anerkennung, als würde er ihr anrechnen, daß sie trotz der Trauer ihren Verstand benutzte. »Ja. Es ist Tasaio, der Neffe von Lord Jingu von den Minwanabi, der einzige Sohn seines toten Bruders.« Mara kniff
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