Die Auserwählte: Roman (German Edition)
können.
Und dann sah ich, wie Jeremy auf mich zugerannt kam, um mich aufzufangen, bevor ich auf dem Boden aufschlug, und Furcht packte mein Herz so fest, dass es einmal schlug … zweimal …
Nein, fass mich nicht an! , hätte ich am liebsten geschrien. FASS MICH NICHT AN !
Ich wich vor Jeremy zurück.
War ich noch am Leben? Alles deutete darauf hin, oder etwa nicht? Ich konnte mich bewegen, und ich konnte fühlen. Ich fühlte die Hitze, die mich durchflutete und sich häuslich in mir niederließ.
»Tut mir leid«, krächzte ich. »Es ist … gefährlich … mich anzufassen. Ich bin noch … zu heiß.« Mein Herz hämmerte in meiner Brust, in meinem Kopf, in meinen Händen und Füßen. Ich war aufgeladen. Ich war ein Mensch gewordener Blitz. Einmal mehr.
Jeremy starrte mich mit offenem Mund an. »Ich dachte, du wärst tot.«
Ich stieß ein keuchendes Lachen aus. »Das war ich auch – ein bisschen zumindest.«
Wir betrachteten beide den Himmel. Die Wolken zogen ab, lösten sich wie Rauch auf, zerstreuten sich, als hätten sie niemals existiert.
Ich lächelte. Dann sah ich, dass Jeremy mein Gesicht musterte und besorgt die Stirn runzelte. »Was ist?«, fragte ich. »Was ist denn los?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts«, entgegnete er und fing an, sein weißes Hemd aufzuknöpfen.
»Was machst du denn?« Ich senkte den Blick. »Oh.« Ich versuchte, mich zu bedeckten, hatte aber nicht annähernd genug Arme. Die Rover und die Suchenden, die auf dem Dach des Tower standen, wandten diskret den Blick von meiner Nacktheit ab, doch ich ertappte einige von ihnen dabei, dass sie auf die Male auf meinem Körper schielten.
Jeremy hielt mir sein Hemd hin, machte sich jedoch nicht die Mühe, den Blick abzuwenden. Er sah mich, nackt, mit Blitzschlag-Narben und allem Drum und Dran. Ich suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen für Abscheu, fand aber nichts. Seine Blitzschlag-Narbe auf der Brust zeichnete sich überdeutlich auf seiner nackten Haut ab – wie ein explodierender roter Stern.
»Kann ich dich endlich berühren?«, fragte er mit einem vorsichtigen Lächeln.
Ich nahm ihm das Hemd ab, und da meine Berührung es nicht in Asche verwandelte, nickte ich, bevor ich es mir über den Kopf zog.
Jeremy streckte zögerlich eine Hand aus und fuhr mit dem Finger an einer Blitzschlag-Narbe an meinem Hals entlang. Er zuckte zusammen, zog ihn aber nicht zurück. Seine Hand wanderte nach oben und kam auf meiner Wange zu liegen. Als er mit dem Daumen über meine Haut strich, huschte ein Schatten über sein Gesicht. Dann war er wieder verschwunden, und Jeremy küsste mich. Ich konnte nur hoffen, dass ich ihn nicht verbrennen würde.
In meinem Kopf machte sich keine Vision breit.
Jeremy berührte mich, und ich berührte ihn.
Es gab nur noch uns beide, die Liebenden und den Tower.
Epilog
Ich habe keine Angst vor Stürmen,
denn ich lerne, mein Boot zu segeln.
Louisa May Alcott
I nsgeheim glaubte ich, dass nach jener Nacht in der Wüste wieder Normalität einkehren würde. Nach jener Nacht, in der ein Teil von mir gestorben war. Der Nacht, in der ich aufgehört hatte, mich für meine Blitzschlag-Narben zu schämen, und akzeptiert hatte, wer ich bin: das TowerMädchen. Der Nacht, in der Mom aufgehört hatte, in ständiger Angst zu leben, und in der Parker, Mom und ich einander Dinge verziehen hatten, die keine Rolle mehr spielten. Der Nacht, in der ich mich in einen Jungen verliebt hatte, der meine Zukunft voraussehen konnte, und ihn unter einem klaren Himmel zwischen den Ruinen von Los Angeles geküsst hatte, während meine Haut elektrisiert kribbelte.
Nach jener Nacht, in der ich einen Mann namens Rance Ridley getötet hatte, der sich selbst Prophet nannte. Der unter einem falschen Namen den Tower gekauft und sich bereiterklärt hatte, in seinem Gebäude den Rove stattfinden zu lassen, obwohl er die Rover zuvor öffentlich verunglimpft hatte. Allerdings konnte niemand mehr Prophet fragen, weshalb er das getan hatte, da Prophet tot war, verkohlt während eines heftigen Gewitters.
Nein, die Normalität war noch nicht wieder ganz eingekehrt.
Wieder an die Skyline-Highschool zu gehen kam für mich nicht infrage. Ich hatte mich verändert, und obwohl ich nicht mehr das Bedürfnis hatte, meine Blitzschlag-Narben zu verbergen, konnte ich nicht mehr so zur Schule gehen wie früher. Die Narben waren gewachsen und erstreckten sich wie rote Adern über meine rechte Wange, zwischen meine Augen und über meine Stirn.
Das größte
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