Die Auserwählte
Stücke Haggis Pakora in meine Tasche steckte – und ging über den Hof zum Herrenhaus. Es hing nur ein leichter Morgennebel über den Dächern, jenseits davon war der Himmel klar und blau. Dampf stieg vom Waschhaus auf, und Schwester Veronique rief heraus und winkte herüber, einen schweren, übervollen Wäschekorb in ihre Hüfte gestemmt. Ich winkte ihr ebenfalls zu, und auch Bruder Arthur, der einen der Clydesdales festhielt, während Bruder Robert und Bruder Robert B. ihm das Geschirr anlegten.
Die Männer riefen mich heran, damit ich mir das Pferd anschauen sollte. Dubhe ist der größte, aber auch der trägste unserer Clydesdales.
Ich vermag mit Tieren ebensogut umzugehen wie mit Menschen, und wenn ich in der Gemeinde eine Aufgabe habe, die sich mit den Pflichten der anderen vergleichen ließe, dann die, einige der Schmerzen, Verletzungen und Erkrankungen zu lindern, unter denen Mensch wie Tier zuweilen leiden.
Wir führten das Pferd ein bißchen ohne sein Geschirr herum, und ich tätschelte ihm die Flanken und hielt seinen Kopf und sprach eine Weile mit ihm, schmiegte mein Gesicht an das seine, während sein Atem in lieblich nach Heu duftenden Wolken aus seinen schwarz-rosa Nüstern schoß. Schließlich nickte Dubhe einmal und zog seinen riesigen Kopf aus meinem Griff, dann schaute er sich um.
Ich lachte. »Ihm geht es gut«, erklärte ich den Männern.
Ich ging weiter zum Herrenhaus; das ist die recht imposante Bezeichnung für den Bau, den Mr. Woodbeans Vater um die Jahrhundertwende errichtet hatte und der von da an anstelle des ursprünglichen Farmhauses der Familie als Heimstatt diente. Es ist aus grau-rosa Sandsteinblöcken gebaut, nicht wie das ältere Gebäude aus rauhem, unverputztem Stein, und seine drei Stockwerke ragen höher auf, sind heller und ungetüncht. Das Feuer, bei dem meine Eltern umkamen, hatte es vor sechzehn Jahren bis auf die Ruinen der Außenmauern abbrennen lassen, aber wir haben es in der Zwischenzeit wieder aufgebaut.
Drinnen hockten Bruder Elias und Bruder Herb, zwei muskulöse blonde Amerikaner, auf den Knien und bohnerten den Fußboden der Eingangshalle. Die Luft war erfüllt vom durchdringenden, sauberen Geruch des Bohnerwachses. Elias und Herb sind Konvertiten, die zu uns kamen, nachdem sie durch Bruder James, unseren Missionar in Amerika, von der Gemeinde gehört hatten. Beide sahen hoch und schenkten mir das breite, makellose Lächeln, das, wie sie uns (beinahe stolz, wie es mir schien) versicherten, ihre jeweiligen Eltern viele Tausende von Dollars gekostet hatte.
»Isis«, setzte Elias an.
»Geliebte«, kicherte Herb, wobei er mich ansah und die Augen verdrehte.
Ich schmunzelte und bedeutete Elias, fortzufahren.
»Geliebte Isis«, sagte Elias grinsend, »würdest du wohl so freundlich sein und den armen verblendeten Verstand unseres Bruders hier bezüglich der Frage der Wesensgleichheit von Körper und Seele erleuchten?«
»Ich will es versuchen«, erwiderte ich und unterdrückte ein Seufzen.
Elias und Herb schienen begeistert und beständig in Streitgesprächen über die Auslegung der Glaubensgrundsätze der luskentyrischen Theologie verwickelt, wobei es sicher Auslegungssache war, ob es sich nicht um bloße Spitzfindigkeiten handelte (gleichzeitig muß ich jedoch eine gewisse Befriedigung darüber gestehen, daß zwei derart prachtvolle Musterbeispiele kalifornischer Männlichkeit – beide um die zwei Jahre älter als ich – vor mir auf den Knien lagen und andächtig meinen Worten lauschten). »Worum genau geht euer Disput?« fragte ich.
Elias zeigte fuchtelnd mit seinem gelben Wischmob auf den anderen Mann. »Bruder Herb hier behauptet, wenn die Häresie der Statur in ihrer Gänze abzulehnen ist, dann ergäbe sich daraus zwangsläufig, daß die Seele, oder zumindest jener Teil, der die Stimme des Schöpfers empfängt, das Skelett des Gläubigen ist.
Nun, mir hingegen scheint es offensichtlich, daß…«
Und so plapperten sie weiter. Zur Häresie der Statur war es gekommen, als eine Handvoll der ursprünglichen Anhänger meines Großvater, im Mißverständnis seiner Lehre bezüglich der Körperlichkeit der Seele, entscheiden, je größer und dicker jemand wäre, desto besser könne er als Empfänger für Gottes Signale dienen und desto besser würde er die Stimme Gottes hören. Vielleicht war auch die Tatsache, daß Salvador über die vorangegangenen Jahre zu einer immer fülligeren und beachtlicheren Figur herangewachsen war, nicht ganz unschuldig an
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