Die Auserwählte
Versammlungen und Gottesdienste abhalten. Das Cogitarium war noch wärmer und feuchter als das Badezimmer.
Mein Großvater, Seine Heiligkeit der Gesegnete Salvador-Uranos Odin Dyaus Brahma Moses-Mohammed Mirza Whit von Luskentyre, Geliebter Gründer der Luskentyrischen Sekte der Auserwählten Gottes I. und der Irdische Statthalter des Schöpfers (und nie darum verlegen, sich zusätzliche, religiös bedeutsame Namen und Titel zu geben), saß auf einem einfachen Rattansessel in einem Flecken Sonnenlicht am gegenüberliegenden Ende des Wintergartens, wohin man über einen im Schachbrettmuster gefliesten Weg zwischen den ausladenden Blättern unzähliger Farne, Philodendren und Bromelien gelangte. Großvater war wie üblich in eine schlichte weiße Robe gekleidet. Seine lange, weißgelockte Haarmähne verband sich mit seinem dichten weißen Bart zu einem Nimbus um seinen Kopf, der im diesigen Sonnenschein des Morgens zu schimmern schien. Seine Augen waren geschlossen. Die Blätter der Pflanzen berührten meine Arme, als ich den Weg entlangging, und raschelten dabei leise. Großvater schlug die Augen auf. Er blinzelte, dann lächelte er mich an.
»Und wie geht es meiner Lieblingsenkelin heute?« erkundigte er sich.
»Ich bin wohlauf, Großvater«, sagte ich. »Und dir?«
»Ich fühle mich alt, Isis«, erwiderte er lächelnd. »Aber durchaus wohlauf.« Seine Stimme war tief und sonor. Er ist trotz seines Alters noch immer ein gutaussehender Mann, mit einem markanten, ausdrucksstarken Gesicht und einer Haut, die einem nur halb so alten Mann zur Ehre gereichen würde. Der einzige Makel an seinem Gesicht ist die tiefe, V-förmige Narbe hoch oben auf seiner Stirn, die zum Erkennungszeichen unserer Gemeinschaft geworden ist. Seine tiefe, volle Stimme, die sich unüberhörbar über unseren Chor erhebt, wenn wir während des Gottesdienstes singen, hat einen eindeutig schottischen Akzent, wenn auch versetzt mit einer Andeutung von Privatschul-Englisch und dem gelegentlichen amerikanischen Vokallaut.
»Gesegnet seist du, Großvater«, sagte ich und machte unser Zeichen, indem ich meine rechte Hand an die Stirn hob und eine Bewegung ausführte, die sich vielleicht am besten als ein langsames Antippen beschreiben läßt. Salvador nickte erwidernd und deutete auf einen kleinen Holzschemel neben seinem Rattansessel.
»Und gesegnet seist auch du, Isis. Danke, daß du gekommen bist, um deinen alten Großvater zu besuchen.« Er legte vorsichtig die Hand an den Hinterkopf. »Es ist wieder der Nacken.«
»Aha«, sagte ich. Ich legte meinen Hut auf den Schemel, auf den Großvater gezeigt hatte, dann stellte ich mich hinter ihn, legte die Hände auf seine Schultern und begann, ihn zu massieren. Er ließ den Kopf ein wenig nach vorn sinken, während ich seine Muskeln knetete und meine Hände sich ruhig über seine glatte, leicht sonnengebräunte Haut bewegten.
Ich stand im diesigen Sonnenlicht da, dessen strahlende Wärme durch Nebel und Glas doppelt gefiltert wurde, und ließ meine Hände über Großvaters Nacken und Schultern gleiten, nicht mehr massierend, sondern nur noch berührend. Ich fühlte jene seltsame, aufwallende Energie tief in meinem Innern, das Zeichen meiner Kraft, spürte, wie es kribbelnd aus meinem Mark aufstieg und von dort in und durch meine Hände strömte, und wußte, daß ich die Gabe noch immer besaß, daß ich heilte.
Ich muß gestehen, daß ich einige Male bei derartigen Gelegenheiten versucht habe herauszufinden, ob es tatsächlich der Berührung bedarf, damit meine Gabe tätig werden kann; ich habe meine Hände ganz dicht über ein erkranktes Tier oder Körperteil gehalten, um zu sehen, ob Nähe allein genügt, um die Wirkung hervorzubringen. Die Ergebnisse waren – wie mein alter Physiklehrer gesagt hätte – eindeutig zweideutig. Bei Tieren bin ich mir schlichtweg nicht sicher, und bei Menschen… nun, sie merken es, wenn man sie nicht berührt, und anscheinend erwarten sie eine Berührung als Voraussetzung, damit die Gabe Wirkung zeigen kann. Ich habe nie gewagt, jemanden hinsichtlich des wahren Grundes meines Interesses in dieser Angelegenheit ins Vertrauen zu ziehen.
»Ah, jetzt ist es besser«, seufzte Großvater nach einer Weile.
Ich ließ die Hände auf seinen Schultern ruhen und holte tief Luft. »Alles wieder in Ordnung?«
»Alles bestens«, erwiderte er und tätschelte meine rechte Hand. »Vielen Dank, mein Kind. Komm jetzt, setz dich.«
Ich nahm meinen Hut hoch und setzte mich auf den
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