Die Auserwählte
Brücke – damals, als die Bahnlinie noch in Betrieb war – Zugang zu den Feldern erlaubte; mein Weg zur Kathedrale an jenem neblig-hellen Montag morgen würde dort beginnen, doch zuerst mußte ich noch frühstücken.
*
Unser Alltagsleben kreist um den langen Holztisch in der ausgebauten Küche des alten Bauernhauses, wo das Feuer im Kamin brennt wie ein Ewiges Licht der Häuslichkeit und der uralte Ofen pechschwarz in einer Ecke steht und Wärme und einen behaglich muffigen Geruch verströmt wie ein alter, behäbiger Familienhund. Zu dieser Morgenstunde zu dieser Jahreszeit wird die Küche von dem dunstigen Sonnenlicht erhellt, das durch die großen Fenster fällt, und ist voll von Menschen; ich mußte über Tarn und Venus steigen, die auf dem Boden nahe der Tür zur Diele mit einer Holzeisenbahn spielten. Sie blickten auf, als ich die Küche betrat.
»Geliebte Isis!« piepste Tarn.
»Glieb Eis-sis«, plapperte das jüngere Kind.
»Bruder Tarn, Schwester Venus«, begrüßte ich sie und nickte bedächtig in gespielter Feierlichkeit. Sie kicherten verlegen und wandten sich wieder ihrem Spiel zu.
Venus’ Bruder, Peter, stritt sich gerade mit seiner Mutter, Schwester Fiona, darüber, ob heute ein Badetag wäre oder nicht. Auch sie hielten lange genug inne, um mich zu begrüßen. Bruder Robert nickte mir von der offenen Hoftür zu und zündete sich seine Pfeife an, während er hinausging, um die Pferde anzuspannen; seine genagelten Stiefel klackten über das Kopfsteinpflaster. Clio jagte ihre ältere Schwester Flora mit einem langen Holzlöffel um den Tisch, verfolgt von Handyman, dem Collie, der den fröhlich lachenden und quiekenden Geschwistern aufgeregt hechelnd hinterherlief (»Mädchen…« schalt die Mutter der Mädchen, Gay, milde und blickte von den festlichen Bannern auf, die sie gerade nähte. Sie sah mich und wünschte mir einen guten Morgen. Ihr jüngstes Kind, Thalia, stand neben ihr auf der Bank und klatschte seinen Schwestern begeistert glucksend Beifall). Die beiden Kinder sausten kreischend an mir vorbei, noch immer dicht gefolgt von dem Hund, der schlitternd über den gefliesten Boden hetzte, und ich mußte mich gegen das warme Metall des Ofens zurücklehnen, um ihnen auszuweichen.
Der Ofen war ursprünglich für Festbrennstoffe gedacht, doch nun wird er mit Methan betrieben, das durch Rohre von den im Hof vergrabenen Fäkalientanks hierher geleitet wird. Wenn das Feuer mit dem riesigen schwarzen Kessel, der über den Flammen hängt, unser nie erlöschender Schrein ist, dann ist der Ofen unser Altar. Er untersteht der Obhut meiner Stieftante Calliope (allgemein Calli genannt), einer dunkelhäutigen, molligen, schwerfällig aussehenden Frau mit buschigen schwarzen Augenbrauen und dicken, nach hinten gebundenen Haaren, die trotz ihrer vierundvierzig Jahre noch rabenschwarz und ohne den geringsten Hauch von Silber sind. Calli sieht ausgesprochen asiatisch aus, als hätten so gut wie keine der angelsächsischen Gene meines Großvaters ihren Weg zu ihr gefunden.
»Gaia-Marie«, sagte sie, als sie von ihrem Platz am Tisch aufblickte und mich sah (Calli nennt mich immer beim ersten Teil meines Namens). Sie hatte ein blitzendes Messer in der Hand, ein Schneidebrett vor sich und hackte Gemüse. Sie erhob sich; ich streckte meine Hand aus, und sie küßte sie, denn runzelte sie die Stirn, als sie meine Reisejacke und meinen Hut bemerkte. »Ist es schon wieder Montag?« Sie nickte und setzte sich wieder.
»Ja«, bestätigte ich, während ich meinen Hut auf dem Tisch ablegte und mir eine Schüssel Hafergrütze aus dem Topf auf dem Herd auffüllte.
»Schwester Erin war vorhin hier, Gaia-Marie«, sagte Calli und machte sich wieder daran, das Gemüse zu schneiden. »Sie sagte, der Gründer möchte dich sehen.«
»Gut«, erwiderte ich. »Vielen Dank.«
Schwester Anne, die Frühstücksdienst hatte, kam eilig vom Toast-Gitter am Feuer herüber, tat mir einen großen Klacks Honig in meine Hafergrütze und sorgte dafür, daß ich die nächsten beiden Scheiben Toast bekam, dick mit Butter bestrichen und mit Käse belegt; eine Tasse starken Tees folgte auf dem Fuße. Ich dankte Schwester Anne und nahm auf einem Stuhl neben Cassie Platz. Ihr Zwilling, Paul, saß auf der anderen Seite des Tisches. Sie entzifferten gemeinsam eine Telefonrolle.
Die Zwillinge waren Callis älteste Kinder, eine attraktive Mischung aus Callis subkontinentaler Dunkelhäutigkeit und der angelsächsischen Hellhäutigkeit ihres Vaters,
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