Die Auserwählte
Großvater heute ja noch sehen; dann kannst du es ihm selbst sagen.«
»Nun ja, es ist nur so, daß er solche Neuigkeiten besser aufnimmt, wenn du sie ihm erzählst, stimmt’s? Ich meine, du bist sein ein und alles, oder etwa nicht? Na, Isis?« Er stubste mich an und bedachte mich mit einem verschlagenen Grinsen, als wir den Fuß der Treppe erreichten. Der Geruch von Bohnerwachs hing noch in der Luft, und der Boden spiegelte wie eine Schlittschuhbahn, aber Elias und Herb waren fort.
»Wenn du das sagst«, erwiderte ich. Allan hielt mir die Haustür auf, und ich trat ihm voran auf den Hof hinaus. Er zog sich sein Tweedsakko über. »Bist du auf dem Weg nach Dunblane?«
»Das bin ich.«
»Gut.« Er nickte und blickte durch den zarten Morgennebel zum Himmel, während wir über das taufeuchte Kopfsteinpflaster gingen. »Ich dachte mir, ich begleite dich bis zum Tor«, sagte er. »Könnte sein, daß der Postholdienst heute Hilfe braucht.« Er zupfte eine seiner Manschetten zurecht. »Wir erwarten einige recht schwere Pakete«, erklärte er. »Vielleicht sogar Kisten.« (Wir bestellen all unsere Lebensmittel per Post, aus etwas seltsamen Gründen, die ich wohl später noch erklären muß. Ebenso sind mit dem Postholdienst selbst verborgene Feinheiten und Auslegungsmöglichkeiten verbunden.) Wir blieben in der Mitte des Hofs stehen und sahen einander an.
»Wie läuft’s äh… wie läuft’s mit der Neufassung?« erkundigte er sich.
»Gut«, erwiderte ich.
»Ändert er viel?« fragte Allan und senkte die Stimme dabei so leicht, daß es ihm vermutlich selbst nicht bewußt war, während er gleichzeitig einen verstohlenen Blick zum Herrenhaus warf.
»Eigentlich nicht«, sagte ich.
Allan sah mich einen Moment lang an. Ich vermutete, daß er überlegte, ob er eine sarkastische Bemerkung machen sollte oder nicht. Offensichtlich fiel die Entscheidung zu meinen Gunsten aus. »Es ist nur… du weißt schon«, sagte er schließlich mit schmerzlich verzogenem Gesicht, »einige… einige von uns sind ein wenig beunruhigt darüber, was der alte Knabe alles ändern könnte.«
»Bei dir klingt es wie ein Testament«, bemerkte ich schmunzelnd.
»Nun«, nickte Allan. »Es ist sein Vermächtnis, nicht wahr? An uns, meine ich.«
»Ja«, pflichtete ich bei. »Aber wie ich schon sagte, er ändert nicht viel; hauptsächlich geht es ums Glätten und Bereinigen des Textes. Bislang haben wir die meiste Zeit darauf verwendet, falsche Signale zu erklären, die frühen fehlgeleiteten Lehren und Häresien; er hat versucht, die Umstände, die dazu führten, aufzuklären.«
Allan verschränkte die Arme, dann hob er eine Hand an den Mund. »Ich verstehe, ich verstehe«, murmelte er gedankenverloren. »Glaubt ihr immer noch, daß es bis zum Fest fertig sein wird?«
»Er glaubt es. Ich denke es mir.«
Unvermittelt breitete sich ein Lächeln auf den Zügen meines Bruders auf. »Das klingt ja ganz gut.«
»Würde ich sagen.«
»Schön. Nun…«
»Bis später«, sagte ich. »Geh mit Gott.«
»Ja, du auch.« Er lächelte zaghaft.
Ich drehte mich um und ging.
Kapitel
Zwei
Die Hauptgebäude von High Easter Offerance bilden ein an einem Ende von einer Mauer abgeschlossenes H; ich ging aus dem Innenhof durch das Tor in den offenen Hof dahinter, wo die Hühner scharrten und in der Erde pickten und aus Bruder Indras Schmiede das Pfeifen der Blasebälge zu hören war (ich schaute mich nach Indra um, konnte ihn aber nicht entdecken). Hinter den Tierställen und den Scheunen befand sich ein Teil unserer Sammlung fahruntüchtiger Fahrzeuge: ein halbes Dutzend alter Reisebusse, ein Doppeldeckerbus, vier Möbelwagen, zwei Pritschenwagen, zehn Laster von verschiedener Größe und ein kleiner, rostiger Feuerwehrwagen mit Messingglocke. Keins der Fahrzeuge ist jünger als zwanzig Jahre, und sie sind alle so umwachsen – und in einigen Fällen überwuchert – von Unkraut und Gestrüpp, daß man sie vermutlich nur noch mit einem Traktor oder einem Panzer daraus befreien könnte, selbst wenn sie noch Räder und Reifen hätten und ihre Achsen nicht festgerostet wären. Die Fahrzeuge beherbergen einige der empfindlicheren Nutzpflanzen, für die es nicht genügend Platz in den Treibhäusern südlich der Hauptgebäude gibt, und bieten zusätzlichen Schlaf- und Wohnraum oder dienen schlicht als Vorratskammern. Sie geben außerdem einen wunderbaren Spielplatz für die Kinder ab.
Von dort führt die Straße durch die Lücke im Bahndamm, über die
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