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Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney

Titel: Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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achten die Leute. Sie rubbelte sich trocken, bis die Haut brannte, nahm dann ein sauberes Unterkleid aus der Truhe, eine Wäschehose mit Rüschen, die für Feiertage vorbehalten war. Ob sie es allein schaffte, die Hose an das Unterkleid zu knöpfen? Es musste gelingen. Dann nahm sie das gute Leinenkleid und zog es sich über den Kopf. Wer sollte die Knöpfe schließen? Wer würde die Schnüre schnüren, die Schleifen binden? Wie sie sich auch drehte und wendete, ihr gelang es nicht. Doch es musste, es war ihre Aufgabe, alles richtig zu machen.
    Tränen stiegen ihr in die Augen, als sich die Zimmertür öffnete.
    »Wie weit bist du?«, fragte Inken und schlug die Hände vor den Mund. »Oh lieber Herr Jesus, Kind!«
    Nun flossen die Tränen ohne Halt. »Ich habe es versucht«, schluchzte Emilia.
    »Nun, nun, nun, Mäuschen. Alles ist gut.« Mit flinken Händen schloss Inken Knöpfe, zog Säume gerade, schnürte Bänder. Dann bürstete sie Emilias Haare und steckte sie fest. »Noch die Schuhe, und schon bist du fertig. Was ist mit deinen Strümpfen?«
    Die Strümpfe hatte das Mädchen ganz vergessen.
    »Dann eben ohne«, beschloss die Magd. »Schnell, schnell, bevor Frau Jörgensen los ist.«
    »Aber ich … habe Hunger.« Emilia folgte Inken die Treppe hinunter, ließ sich die Schnürstiefel anziehen. »Komm, ein Brot mit Butter auf die Hand muss ausreichen. Nachher bekommst du eine gute Suppe und nun lauf.« Sie setzte dem Mädchen die Haube auf und schob es hinaus. Als Emilia draußen stand, schrie die Mutter zum ersten Mal laut und quälend auf. Das Kind presste die Hände auf die Ohren und lief den Hang hinunter.
    Etwas weiter zur Chaussee hin stand das Haus der Jörgensens. Es war aus rotem Backstein, hatte nur das Erdgeschoss und Kammern unter dem Reetdach. Vor zwei Jahren hatte die Familie angebaut, um der Heerschaar der Kinder Platz bieten zu können. Es gab eine Scheune und einen Stall. Einen Garten, so, wie bei der Familie Bregartner, gab es dort nicht. Emilias Mutter hatte vor dem Haus eine Rasenfläche anlegen lassen, mit einem Pavillon und vielen blühenden Büschen sowie gestutzten Buchsbäumen. Jörgensens hatten eine Wiese mit Obstbäumen und Beerensträuchern vor dem Haus, hinter dem Haus befand sich der Wirtschaftsgarten. Sie hielten einige Schafe und Ziegen auf den Deichen, so wie Bregartners auch. Beide Familien hatten einen Wirtschaftsgarten, doch gab es Unterschiede. Emilias Familie besaß Land und die Werft, Vater Jörgensen war Lotse im Hafen.
    »Euch geht es viel besser als uns«, sagte Mette Jörgensen oft. »DeineMutter kann Inken auf den Markt schicken, Schinken und Speck kaufen.«
    Mette war zwei Jahre älter als Emilia, die beiden Mädchen liebten sich aufrichtig und verbrachten viel Zeit miteinander.
    Doch bei Jörgensens, dachte Emilia oft, ist es anders als bei uns. Allein schon, dass Ida, die Magd, ihre Herrschaft mit »Mutter« und »Vater« ansprach, während Inken »gnädige Frau« und »gnädiger Herr« sagte. Es war wie mit den Kleidern, die sie trugen. Das Leinen ihrer Wäsche war immer gestärkt, während Mettes Sachen sich viel leichter und weicher anfühlten.
    Emilia war gerne bei den Nachbarn drüben, während es für Mette nichts Schöneres zu geben schien, als bei Bregartners zu sein. Ida hatte immer etwas zu tun. Viel mehr als Inken und Sofie. Sofie war die alte Magd der Bregartners. Sie wohnte noch beim Gesinde, aber ihre Hände waren von der Gicht verkrümmt. Sie taugte nur noch, um den Besen ein wenig zu schwingen, die Hühner zu füttern und Unkraut zu zupfen. Doch sie würde bei ihnen wohnen bleiben, bis sie starb, das hatte Emilias Vater versprochen.
    Schon kam das Reethaus des Lotsen in Sicht, das sich unter dem großen Rosskastanienbaum duckte wie ein Tier. Emilia lief schneller. Die Schreie der Mutter waren nun nicht mehr zu hören, seltsam still war es. Die Bäume rauschten im Wind, aber kein Vogel schrie, keine Möwe kreischte. Plötzlich bemerkte Emilia, dass es schneite. Flocke um Flocke landete auf ihrem Kleid, auf dem Gras und den Büschen. Dabei war es gar nicht kalt. Verwundert schaute sie in den Himmel, der von dunklen Wolken bedeckt war. Ein Schneesturm schien herniederzugehen. Sie fing die weichen Flocken ein, die nicht in der Hand schmolzen, und zerrieb sie zwischen den Fingern. Es waren Ascheflöckchen. Oh nein, dachte sie und strich hektisch über das helle Kleid, das dadurch graue Streifen bekam.
    Ich muss doch alles richtig machen, aber es will mir

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