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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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hoch. »Und, glaubst du, ich habe dich verstanden?«
    Jetzt muss ich doch unfreiwillig lachen. »Nicht so gut, wie ich gehofft habe. Du hast so reagiert wie Mama und Papa, wenn ich es ihnen erzählt hätte.«
    »Natürlich habe ich das«, sagt er. »Ich will dich beschützen.«
    Das war aber nicht immer so, denke ich und imitiere seine hochgezogenen Augenbrauen. Denn Großvater ist derjenige, der mich dazu gebracht hat, nicht mehr nur am Rande des Beckens zu sitzen – sondern etwas zu wagen.
    An einem Sommertag kam er zu uns in Schwimmbad und fragte: »Was macht Cassia denn da?«
    »Das macht sie immer«, antwortete Xander.
    »Kann sie nicht schwimmen?«, fragte Großvater, und ich warf ihm einen grimmigen Blick zu, weil ich für mich selbst sprechen konnte. Und er wusste das.
    »Doch, kann sie«, sagte Xander. »Es macht ihr nur keinen Spaß.«
    »Ich mag das Reinspringen nicht«, erklärte ich meinem Großvater.
    »Aha«, sagte er. »Auch nicht vom Sprungbrett?«
    »Das schon gar nicht.«
    »So, so«, brummte er. Er saß neben mir auf dem Beckenrand. Obwohl er damals noch jünger und besser in Form war, fiel mir auf, wie alt er im Vergleich zu den Großeltern meiner Freunde aussah. Meine Großeltern gehörten zu den letzten Paaren, die sich dazu entscheiden durften, erst später im Leben mit ihrem Partner zusammengebracht zu werden. Sie waren fünfunddreißig, als sie gepaart wurden, und mein Vater, ihr einziges Kind, kam erst vier Jahre später zur Welt. Heute darf niemand mehr ein Kind bekommen, der über einunddreißig ist.
    Seine silbernen Haare glitzerten in der Sonne, und ich konnte jede einzelne Strähne erkennen, auch wenn ich nicht so genau hinsah. Es machte mich traurig, aber zugleich war ich ziemlich wütend auf ihn.
    »Wie aufregend«, sagte er und planschte mit den Füßen im Wasser. »Aber willst du etwa für immer tatenlos herumsitzen?«
    Dann stand er auf und ging zum Sprungbrett.
    »Sir«, sagte die Bademeisterin, die für dieses Becken zuständig war. »Sir?«
    »Ich habe einen Freizeitausweis«, erwiderte Großvater, ohne innezuhalten. »Ich bin bei bester Gesundheit.« Dann kletterte er die Leiter des Sprungturms hinauf. Er wirkte immer stärker und stärker, je höher er kletterte.
    Er sah mich nicht an, bevor er sprang. Hopp, und runter. Noch bevor er ins Wasser tauchte, war ich auf den Beinen und ging über den heißen Beton zum Sprungturm. Meine Fußsohlen und mein Stolz brannten gleichermaßen. Und ich sprang.
    »Du denkst an die Geschichte im Schwimmbad, oder?«, fragt er mich jetzt.
    »Ja«, gebe ich zu und lache leise. »Damals hast du mich nicht beschützt. Du hast mich praktisch dazu herausgefordert, in den Tod zu springen.« Ich zucke innerlich zusammen. Ich wollte dieses Wort doch nicht sagen! Ich weiß nicht, warum ich solche Angst davor habe. Großvater hat keine. Die Gesellschaft hat keine. Also sollte ich auch keine haben.
    Großvater scheint es nicht bemerkt zu haben. »Du warst bereit für den Sprung«, sagt er. »Du brauchtest nur einen kleinen Schubs.«
    Beide schweigen wir bei der Erinnerung daran. Ich versuche, nicht auf den Zeitmesser an der Wand zu schauen. Ich muss bald gehen, damit ich vor der Sperrstunde zu Hause bin, aber ich will nicht, dass Großvater denkt, ich würde die Minuten zählen. Die Zeit bis zum Ende meines Besuchs. Die Zeit, bis sein Leben zu Ende ist. Andererseits: Wenn man darüber nachdenkt, zähle auch ich die Minuten meines eigenen Lebens. Denn mit jeder Minute, die man mit jemand anderem verbringt, schenkt man ihm einen Teil des eigenen Lebens und nimmt dafür einen Teil von seinem.
    Großvater bemerkt, dass ich abgelenkt bin, und fragt mich, worüber ich nachdenke. Ich gestehe es ihm, weil ich ansonsten nicht mehr viel Gelegenheit dazu haben werde. Er ergreift meine Hand. »Ich bin froh, dir einen Teil meines Lebens zu schenken«, sagt er.
    Es tut mir so gut, dass er das sagt und wie er es sagt. »Und ich bin froh, dir einen Teil von meinem zu schenken.« Obwohl er fast achtzig ist und mir sein Körper eben zerbrechlich erschienen ist, ist sein Händedruck stark, und wieder werde ich traurig.
    »Ich wollte dir noch etwas anderes erzählen«, sage ich zu Großvater. »Ich habe mich für Wandern als Sommer-Freizeitaktivität entschieden.«
    Er sieht erfreut aus. »Das gibt es wieder?« Vor vielen Jahren hat auch Großvater Wandern als Freizeitaktivität betrieben, und er hat seitdem immer wieder davon erzählt.
    »Es ist neu diesen Sommer. Ich

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