Die Auswahl. Cassia und Ky
Jungen auf deinem Bildschirm erschienen ist?«, fragt Großvater freundlich und legt seine Hand auf meine. »Hattest du Angst?«
»Ein bisschen«, gestehe ich. »Vor allem aber war ich durcheinander. Weil ich den anderen Jungen auch kenne.«
Großvater zieht vor Erstaunen die Augenbrauen hoch. »Wirklich?«
»Ja, es war Ky Markham«, erkläre ich ihm. »Der Sohn von Patrick und Aida. Er wohnt auch in der Ahorn-Siedlung, in derselben Straße wie wir.«
»Wie haben dir die Funktionäre diesen Fehler erklärt?«
»Er lag jedenfalls nicht an der Gesellschaft«, sage ich. »Die Gesellschaft macht keine Fehler.«
»Natürlich nicht«, stimmt Großvater mir mechanisch und tonlos zu. »Aber Menschen machen Fehler.«
»Und genau das muss passiert sein, hat mir eine Funktionärin erklärt. Sie glaubt, jemand hätte meinen Mikrochip verändert und Kys Bild darauf abgespeichert.«
»Aber warum?«, wundert sich Großvater.
»Sie hielt es für einen grausamen Scherz – wegen …«, ich rede noch leiser, »Kys Status. Er ist eine Aberration.«
Großvater steht so ruckartig auf, dass sein Tablett dabei auf den Boden fällt. Ich stelle überrascht fest, wie dünn er geworden ist, aber er steht gerade wie ein Baum. »Als dein Partner ist das Bild einer Aberration erschienen?«
»Nur für einen Moment«, versuche ihn zu beruhigen. »Aber es war ein Irrtum. Xander ist mein Partner. Der andere Junge war nicht mal im Paarungspool.«
Großvater bleibt stehen, obwohl ich sitzen geblieben bin, in der Hoffnung, ihn zu beruhigen und ihm damit zu zeigen, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt.
»Hat man dir gesagt, warum er als Aberration klassifiziert worden ist?«
»Ja, sein Vater hat irgendetwas damit zu tun«, antworte ich. »Ky kann nichts dafür.«
Das stimmt. Ich weiß es, und Großvater weiß es auch. Die Funktionäre hätten der Adoption niemals zugestimmt, wenn Ky selbst eine Gefahr dargestellt hätte.
Großvater blickt auf den Teller hinunter, der scheppernd vom Tablett gefallen ist. Ich mache Anstalten, ihn aufzuheben, aber er hält mich zurück. »Nein«, sagt er in scharfem Ton und beugt sich dann mit knackenden Gelenken vornüber. Als bestünde er aus altem Holz, ein alter Baum, steife, hölzerne Gelenke. Er schiebt die Speisereste zurück auf den Teller und sieht mich dann mit seinen klaren Augen an. An ihnen ist nichts Starres; sie sind lebendig und beweglich. »Das gefällt mir nicht«, sagt er. »Warum sollte jemand deinen Mikrochip verändern?«
»Großvater«, sage ich. »Bitte setz dich hin. Es war ein Streich. Die Behörden werden herausfinden, wer das getan hat, und sich um alles kümmern. Die Funktionärin von der Paarungsbehörde hat es mir selbst gesagt.« Ich wünschte, ich hätte ihm nicht davon erzählt. Wieso habe ich geglaubt, es würde mich trösten, darüber zu reden?
Doch dann beruhigt er sich und sagt etwas, worüber ich noch lange nachdenken muss. »Dieser arme Junge«, sagt Großvater mit trauriger Stimme. »Er wurde für einen Fehler bestraft, den er selbst nicht begangen hat. Kennst du ihn gut?«
»Wir sind befreundet, aber nicht eng. Ich treffe ihn manchmal samstags während der Freizeitstunden«, erkläre ich. »Er hat vor einem Jahr seinen festen Arbeitsplatz erhalten, deswegen sehe ihn nicht mehr so oft wie früher.«
»Und wo arbeitet er?«
Ich zögere ein wenig, Großvater davon zu erzählen, weil die Arbeit so schwer und eintönig ist. Wir alle waren überrascht, dass Ky eine so niedrige Tätigkeit zugewiesen wurde, da Patrick und Aida allseits respektiert sind. »Er arbeitet in der Nahrungsentsorgung.«
Großvater verzieht das Gesicht. »Das ist eine harte, unbefriedigende Arbeit.«
»Ich weiß«, sage ich. Mir ist aufgefallen, dass Kys Hände, obwohl die Arbeiter Handschuhe tragen, von der Hitze, dem Wasser und den Maschinen ständig gerötet sind. Aber er beklagt sich nicht.
»Und die Funktionärin hat dir erlaubt, mir davon zu erzählen?«, fragt Großvater.
»Ja«, antworte ich. »Ich habe ihr gesagt, dass ich es nur einem Menschen gerne erzählen würde. Nämlich dir.«
Großvaters Augen funkeln schalkhaft. »Weil die Toten nicht reden können?«
»Nein!«
, widerspreche ich. Ich liebe Großvaters Witze, aber darüber kann ich nicht lachen. Nicht bei diesem Thema. Es geht zu schnell. Ich werde ihn zu sehr vermissen. »Ich wollte es dir erzählen, weil ich wusste, dass du mich verstehen würdest.«
»Aha«, sagt Großvater und zieht sarkastisch die Augenbrauen
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