Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
schwarze Punkte rascher als die Teile der Maschine zu Boden stürzen. Und man sah geöffnete Fallschirme, die aus irgendeinem Grund Feuer fingen und in Sekundenschnelle abgebrannt und mit ihren Trägern zu Boden gefallen waren. Von dem ganzen Geschehen war die Bomberformation insgesamt völlig unbeeindruckt geblieben. Sie flog auf München zu. Die Stadt war zu weit weg, als daß man die Detonationen hätte hören können. Meine Großmutter, eine Sensation witternd, packte mich und lief mit mir zum nächsten Zug Richtung Waging, sie vermutete, daß die Teile des abgeschossenen Flugzeugs in dieser Richtung niedergegangen sein mußten. Sie hatte recht. Eine Station vor Waging, in Otting, das auf einem Wallfahrtsberg liegt, rauchten noch die Trümmer. Eine der beiden riesigen, an die fünfunddreißig Meter langen Tragflächen des Bombers war direkt auf einen Schweinestall gefallen, und in dem dadurch entstandenen Feuer waren an die hundert Schweine verbrannt. Ein unvorstellbarer Gestank lag in der Luft, als wir endlich keuchend auf dem Berg waren. Es war Winter, eiskalt. Wir hatten von der Station in den Ort hinauf durch hohen Schnee stapfen müssen. Die Einwohner von Otting standen vor den Trümmern und machten immer noch neue ausfindig. Und im Schnee sah man große Löcher, in welchen die vom Himmel gefallenen und völlig zerschlagenen Leichen der Kanadier steckten. Ich erschrak zutiefst. Überall in Schnee war Blut verspritzt. Ein Arm, sagte ich, an dem Arm steckte eine Uhr. Das Schauspiel des Krieges gefiel mir nicht mehr. Die Sensation hatte ihre entsetzliche Kehrseite. Ich wollte den Krieg, der jetzt auch uns, die wir ihn bis dahin nur von weitem kannten, sein fürchterliches Gesicht zeigte, nicht mehr sehen. Wir fuhren nach Traunstein zurück. Ich suchte Beruhigung bei meinem Großvater. Er hatte nichts zu sagen. Am Abend saßen er und meine Großmutter in einem Zimmerwinkel und hörten den Schweizer Sender. Ende Feber, Anfang März schleppte ich an den Nachmittagen mit dem Schorschi die im Winter verendeten Rehe mit ihren Jungen aus ihren letzten Zufluchtsmulden. Wir hoben Gruben aus und warfen die steifen Tiere hinein. Wann ich nur konnte, war ich in Ettendorf. Als meine Großtante Rosina starb, fuhr ihr Bruder, mein Großvater, nach Henndorf zum Begräbnis. Er hatte in den letzten Jahren seinen Geburtsort gemieden. Nach dem sogenannten Totenschmaus, den die Trauernden im großen Saal des elterlichen Gasthofs eingenommen hatten, soll die jüngere Schwester der Verstorbenen, die weltgereiste Künstlerwitwe, zu einer Rede angesetzt haben, in welcher sie fortwährend von sich als von einer
deutschen Frau
gesprochen habe.
Ununterbrochen redete sie, von ihrem neuen Ideal, dem Nationalsozialismus, angefeuert, von sich als von einer deutschen Frau. Das war mir zu dumm geworden, und ich bin aufgesprungen und habe gesagt, weißt du, was du bist, du bist keine deutsche Frau, du bist eine deutsche Sau!
Die beiden haben sich nie mehr gesehen. Der Nationalsozialismus hatte sie auseinandergebracht. Marie, nach einem Schlaganfall gelähmt, ist am Ende auch noch verrückt geworden. Sie hockte in einem eigens für sie von einem Währinger Tischler angefertigten Sessel, als ich sie kurz vor ihrem Tod noch einmal in der Weitloffgasse in Wien aufsuchte, und lallte etwas Unverständliches von ihrem geliebten Bruder, der inzwischen längst gestorben war. Nach der Rückkehr vom Begräbnis der Schwester Rosina, deren Imperium nach ihrem Tod ihrer Schwiegertochter Justine zugefallen war, hatte mein Großvater, angeekelt nicht nur von der Entwicklung in seinem Heimatort, ausgerufen: der ganze Ort ist eine Gemeinheit. Unter die meisten Namen auf den Grabsteinen auf dem Friedhof hatten sie das Wort
Parteigenosse
hineinmeißeln lassen. Nach dem Krieg haben sie das scheußliche Wort wieder herausgemeißelt, wie man heute noch sieht. Wieder war ein Inserat in der
Traunsteiner Zeitung
die Ursache für eine Existenzwende: eine Handelsakademie in Passau offerierte sich als ein hervorragendes Institut.
Das ist genau das richtige für dich
, sagte mein Großvater. Er kaufte zwei Fahrkarten erster Klasse, und wir fuhren nach Passau. Anstatt in der ersten Klasse zu sitzen, hatten wir bis nach Wels und darüber hinaus in einem vollgestopften Gang an die vier Stunden stehen müssen. Die Fahrt in einem sogenannten Fronturlauberzug, andere gab es kaum, war eine Qual gewesen. Als der Zug in Passau einfuhr, sahen wir, aus dem Fenster schauend, nur graue
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