Schwarze Schilde
KAPITEL EINS
D er König kehrte auf dem Rücken seines feurigen Cabos, das die begeisterten Züchter auf den Namen ›Erdbeben‹ getauft hatten, aus den Bergen zurück. Die vier kleinen, gebogenen Hörner des Tieres waren an den Spitzen mit goldenen Kugeln versehen. Sie dienten nicht als Schmuck, sondern zum Schutz der Knechte, die Erdbeben mehrmals verletzt hatte.
Ein kunstvoll gearbeiteter Speer, dessen Spitze im Sonnenlicht funkelte, hing am Sattel des Königs. Es handelte sich nicht um eine lange Lanze, wie sie Reitervölker gleich den Amsi benutzten, sondern um den mannshohen Speer, der in der Inselheimat des Königs gebräuchlich war. Ein Drittel der Waffe wurde allein von der Spitze eingenommen, die, von Stahlrändern eingerahmt, aus Bronze bestand. Ein weiteres Drittel bildete der spiralförmig zulaufende Griff. Ein Schaft aus Flammenholz verband beide Teile miteinander. Die Waffe war berühmt, und man kannte sie sowohl in den schneebedeckten Ländern des Nordens, wie auch in den Dschungelgebieten des Südens. Sie war zum äußerlichen Zeichen der Macht geworden, da sie im berittenen Kampf zu unhandlich war. Außerdem ließen die Krieger seiner Leibgarde nicht zu, dass sich der Herrscher im Nahkampf in Gefahr begab.
Hael hatte die vergangene Nacht an einem See in den nördlich der Stadt gelegenen Hügeln verbracht, um zu meditieren. Seine Anhänger vermuteten, dass er bei diesen Gelegenheiten mit den Geistern sprach oder magische Rituale vollzog, aber meistens trieb ihn der Wunsch, endlich einmal ganz allein zu sein. Hin und wieder dachte Hael, dass er nur in die Rolle des Königs geschlüpft war, wie man eine Maske anlegt, dass er im Inneren aber noch immer der kriegerische Hirte war, dessen größtes Vergnügen darin bestand, ganz allein auf seinem Posten zu stehen und das Vieh seines Stammes zu bewachen.
Als er in Sichtweite kam, schwangen sich seine Gardisten auf die Cabos und jubelten ihm zu. Die meisten von ihnen waren Amsi oder Matwas, aber es gab auch ungefähr ein Dutzend Angehöriger anderer Völker unter ihnen. Allmählich wurde die Truppe zu groß, jedes Mal aber, wenn sich ihm neue Stämme anschlössen, musste er ein paar junge Männer in seine Leibgarde aufnehmen, damit sich das betreffende Volk nicht zurückgesetzt fühlte.
Die Krieger folgten Hael, und er trabte der Stadt entgegen. Nach einer Stunde erreichten sie eine kleine Anhöhe oberhalb der Siedlung, die durch den Jahrmarkt auf das Doppelte ihres eigentlichen Umfangs angeschwollen war. Zweimal jährlich zogen die Karawanen aus dem Westen und Süden in das einstmals winzige Byalladorf ›Windbö‹ und verwandelten es in eine große Stadt. Dann konnte man in allen Straßen mindestens ein Dutzend verschiedener Sprachen hören.
Der König hatte die Kaufleute ermutigt, sich regelmäßig in seinem Reich einzufinden und garantierte für die Sicherheit ihrer Karawanen. Seine unübertrefflich tapferen Krieger sorgten dafür, dass weder Banditen noch feindliche Truppen die Steppe unsicher machten. Der König besaß ein großes Anwesen innerhalb der Stadt, neben dem die Kasernen der Krieger lagen. In jedem Jahr verbrachte er hier einen oder zwei Monate. Derartige Wohnsitze unterhielt er in allen wichtigen Städten oder Dörfern seines Reiches. Das war Königin Deenas Idee gewesen, denn sie verabscheute es, in Zelten zu leben.
Bei dem Gedanken an seine Königin fühlte sich Hael einsam. Sie liebte die großen Jahrmärkte, konnte ihn aber in diesem Jahr nicht begleiten. Sie hielt sich im Haus ihrer Mutter auf, wo sie auf die Geburt ihres dritten Kindes wartete – wenn es nicht schon geboren war. Er hoffte, dass es diesmal ein Mädchen sein würde, da sie bereits zwei Knaben, Ansa und Kairn, hatten. Da Hael mit einer Matwa verheiratet war, hatte er den Kindern diplomatischerweise Amsinamen gegeben, trotz des heftigen Widerspruchs seiner Schwiegereltern. Die beiden waren acht und sechs Jahre alt, und Hael wusste nicht, wer von ihnen einmal sein Nachfolger werden würde. Vielleicht keiner von beiden. Ihm war nur zu bewusst, dass diese Dinge von vielen Umständen beeinflusst wurden, von denen einer der Zufall war.
Die Macht König Haels ruhte sowohl auf geistigen, wie auch auf politischen und militärischen Säulen. Sein diplomatisches Geschick hatte Völker vereint, die jahrhundertelang Feinde gewesen waren. Dank seines Einfallsreichtums und seiner Klugheit waren sie zu den Herren der Steppe und der Berge geworden. Die Unterstützung
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