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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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mißhandelten uns. Ein deutscher Junge weint nicht! Und ich hatte im Thüringer Wald fast nur geweint. An mir und an dem Quehenberger war die Kunst der Erzieher und der Schwestern gescheitert. Anstatt daß wir uns besserten, verschlechterte sich unser Zustand. Ich sehnte mich nach Traunstein und vor allem nach Ettendorf zu meinem Großvater zurück, aber es vergingen Monate bis zum Ende der Tortur. Das Wort Thüringen und insbesondere das Wort Thüringer Wald sind mir bis heute Schreckenswörter. Vor drei Jahren habe ich auf dem Weg nach Weimar und Leipzig die Stätte meiner höchsten Verzweiflung aufgesucht. Ich hatte nicht geglaubt, sie wiederzufinden. Tatsächlich, es gab sie, und zwar vollkommen unverändert. Genau wie wir hatten die jetzt in dem Fachwerkbau untergebrachten Kinder ihre vom Marschieren nassen Schuhe auf die hölzernen Zaunpfähle vor dem Eingang gesteckt. Dasselbe Bild, unverändert. Nur liegt das Gebäude jetzt nicht mehr in einer Lichtung, der Wald herum ist zur Gänze abgeholzt, es steht auf freiem Feld. Auf dem Hinweg mit dem Auto, ich hatte in Saalfeld, das meiner Erinnerung nicht mehr entsprochen hatte, nach dem Standort des Erholungsheimes gefragt, war ich ein paarmal von sogenannten Volkspolizisten aufgehalten worden. Dort erfuhr ich, daß es sich um kein Erholungsheim gehandelt hat, immer nur um ein
Heim für schwer erziehbare Kinder
. Ich durfte passieren. Ich hatte eine österreichische Autonummer, das war ihnen verdächtig. Aber ich sei einmal, vor ungefähr vierzig Jahren, dort gewesen, sagte ich zu dem Mann, den ich auf dem Saalfelder Stadtplatz fragte. Er schüttelte nur den Kopf, drehte sich um und verschwand. Ich schaute auf die auf die Zaunpfähle gestülpten Kinderschuhe und-stiefel, da war auch schon ein Erzieher zur Stelle. Da unten ist der Waschraum, sagte ich, der Erzieher bestätigte das. Dort oben sind die Schlafzimmer. Da ist das Frühstückszimmer. Es hatte sich nichts geändert. Auf dem Fahnenmast hing die Fahne der Deutschen Demokratischen Republik. Der Erzieher war jung, und er hatte nicht länger als ein paar Minuten mit mir gesprochen, als er auch schon von einem aus einem oberen Fenster herausschauenden, offensichtlich höhergestellten Kollegen zurückgepfiffen worden war. Ich hatte zu verschwinden. Ich setzte meine Fahrt nach Weimar und Leipzig fort. Ich hätte den Schauplatz meines Grauens nicht aufsuchen sollen, dachte ich. Heute denke ich darüber anders. Es ist gut so. Die Zeiten und die Methoden ändern sich nicht. Ich hatte einen Beweis mehr in meinem Kopf. Die Heimtage waren immer gleich. An den Vormittagen marschierten wir feldauf, feldab gegen Norden, gegen Süden, gegen Osten, gegen Westen. An den Nachmittagen hatten wir Unterricht in allen Volksschulgegenständen. Auch hier war ich wieder wie gelähmt. Von den Meinigen kamen ein paar Karten, handgeschrieben von meiner Mutter und meinem Großvater. Auf diese Karten heulte ich, bis sie so naß waren, daß ihr Text nicht mehr zu entziffern war. Ich hatte die Karten unter meinem Kopfpolster stecken, wenn ich einschlief. Ich hatte vor dem Einschlafen nur zwei Wünsche: die süße Suppe zum Frühstück essen zu dürfen und bald wieder bei meinem Großvater zu sein. Ein paar Wochen vor dem Verlassen des Erziehungsheimes studierten die Schwestern mit uns ein Weihnachtsspiel ein. Ich hatte einen Engel zu spielen, absolut eine Nebenrolle, man traute mir nicht das geringste zu. Ich hatte zwei oder drei Sätze zu sagen, aber immerhin einen Auftritt für mich. Mein Leben lang hatte ich die größten Schwierigkeiten mit dem Auswendiglernen, auch den kürzesten Text merkte ich mir nicht. Es ist mir noch heute unvorstellbar, wie es Schauspielern gelingt, einen langen Text einzustudieren, unter Umständen einen an die hundert Seiten langen. Es wird mir ein Rätsel bleiben. Jedenfalls hatte ich die größte Mühe, in zwei oder drei Wochen zwei Sätze zu lernen und zu behalten. Es kam zur Generalprobe, alles klappte. Als aber die Premiere da war und mein Auftritt nicht mehr zu verhindern gewesen war, bekam ich von der Schwester, der Schöpferin des geheimnisvollen Stücks, einen völlig unerwarteten Stoß in den Rücken, sodaß ich in den Saal hinein stürzte. Ich hatte mich wohl auf den Beinen halten können, aber ich brachte kein Wort heraus. Fassungslos breitete ich zwar, wie vorgeschrieben, meine Arme und also meine Flügel aus, aber der Text kam nicht. Da packte mich die Schöpferin des Schauspiels an ihrem eigenen

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