Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
ungeheuere Anziehungskraft, und ich sagte mehrere Male das Wort
Scherzhauserfeldsiedlung
, schon um ihre Reaktion festzustellen, die die schmerzhafteste gewesen war, immer wieder schaute die Beamtin in mein Gesicht, hörte gleichzeitig, wie ich
Scherzhauserfeldsiedlung
sagte, und ist entsetzt gewesen, daß ich mir gerade diese Adresse im Kopf notierte. Sie hatte weitere Karteikarten aus dem Karteikasten herausziehen wollen, aber ich sagte, ich sei mit dieser Adresse zufrieden, diese Adresse sei die richtige, und wenn ich an dieser Adresse nicht aufgenommen würde, so werde ich wiederkommen, und die Beamtin möge mir dann eine ähnliche Adresse auch
in dieser entgegengesetzten Richtung
wie die Adresse des Podlaha in der
Scherzhauserfeldsiedlung
geben. Einerseits war die Beamtin froh gewesen, daß sie mich zufriedengestellt hatte, andererseits war sie entsetzt gewesen über meine Gedanken, in welche ich sie hineinschauen hatte lassen. Sie hatte mir die besten, die allerbesten Adressen und also Möglichkeiten für mein Weiterkommen aus dem Karteikasten herausgesucht, und ich hatte mich auf die schlechteste, die allerschlechteste, wie sie glaubte, gestürzt. Nicht daß sie mich davor gewarnt hätte, in die Scherzhauserfeldsiedlung zu gehen, aber sie haßte schon das Wort
Scherzhauserfeldsiedlung
, und das Wort
Podlaha
war ihr zutiefst zuwider gewesen, wie ich merkte, und die ganze Richtung, die ich selbst als
entgegengesetzte Richtung
bezeichnete, verachtete sie, und in dem Augenblick, in welchem ich Anstalten machte,
in diese entgegengesetzte Richtung
, also in die Scherzhauserfeldsiedlung zu gehen, alle ihre gutgemeinten Vorschläge mißachtend, und sie mußte gesehen haben, wie ernst es mir mit der Adresse des Podlaha in der Scherzhauserfeldsiedlung gewesen war, hatte sie auch für mich nurmehr noch Verachtung übrig, es war ihr vollkommen unverständlich, wie ein junger, offensichtlich intelligenter Mensch, zwei, drei Stunden vorher noch Gymnasiast, wenn das Ganze mit mir, wie sie denken mochte, vielleicht doch nichts anderes als ein augenblicklich erschrekkend verheerender Fieberzustand gewesen war, das in ihren Augen Bestmögliche, Großartige ausschlagen und sich für das Schlechtestmögliche, Verachtenswerte, Fürchterliche, ja Entsetzliche entscheiden kann, und sie konnte sich wahrscheinlich nur dadurch retten, daß sie mich überhaupt nicht mehr ernst nahm. Eine Gymnasiasten-, eine Pubertätsepisode, mochte sie sich gedacht haben, wie ich aus ihrem Zimmer hinausgegangen bin. Aber ich bin nicht mehr wiedergekommen, das mußte ihr doch zu denken gegeben haben. Der nicht ungewöhnliche Fieberzustand eines verwirrten Schülers, mochte sie sich gedacht haben, der längst wieder vorbei ist, aber wahrscheinlich hatte sie mich sofort vergessen. Zu dem Schulmechanismus hatte ich überhaupt keine Beziehung gehabt und aus diesem Grunde auch niemals zu allen diesen mit diesem Schulmechanismus zusammenhängenden Menschen, während ich von allem, das mit dem Keller zusammenhing, sofort und auf das intensivste angezogen gewesen war, alles in diesem Keller und alles, das mit dem Keller in Zusammenhang war, bedeutete für mich Faszination und nicht nur Faszination, sondern Zugehörigkeit, Inständigkeit, ich fühlte mich diesem Keller und diesen Menschen zugehörig, während ich mich der Welt der Schule niemals zugehörig gefühlt hatte, die Reichenhaller Straße war, wie ich jetzt sah, niemals meine Straße gewesen, wie sie niemals meine Richtung gewesen war, meine Straße und meine Richtung waren die Rudolf-Biebl-Straße, ich ging
meinen
Weg, wenn ich durch die Rudolf-Biebl-Straße ging, an der Lehener Post vorbei, an den Gemüsegärten der Bulgaren vorbei, an den Sportplatzplanken, durch die Siedlung zu meinen Menschen, während alles in der anderen Richtung niemals das Meinige gewesen war, der Weg durch die Reichenhaller Straße, kann ich sagen, ist immer der gewesen, der mich ununterbrochen und mit der größten Rücksichtslosigkeit, die sich denken läßt, von mir selbst entfernt hat, hinein in eine tagtägliche Fürchterlichkeit, deren Konsequenzen aufeinmal nur noch tödliche Konsequenzen hatten sein können, der Weg durch die Rudolf-Biebl-Straße ist der Weg
zu mir
gewesen, an jedem Tage, den ich durch die Rudolf-Biebl-Straße in die Scherzhauserfeldsiedlung in den Keller gegangen bin, habe ich mir gedacht, ich gehe zu mir selbst, und ich gehe mit jedem Tag mehr und mehr zu mir selbst, während ich auf dem Weg durch
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