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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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die Reichenhaller Straße immer denken hatte müssen, daß ich von mir weg gehe, aus mir heraus und von mir weg, immer nur dahin, wohin ich gar nicht gehen wollte, ich war auf diesen Weg gezwungen worden von meinen Erziehern, von meinen Verwaltern, von meinen Vermögensverwaltern, die mein Vermögen, mein
Geistes
vermögen und mein
Körper
vermögen verwalteten und immer nur schlecht verwalteten und die diesen fürchterlichen tödlichen Weg für mich ausgesucht und bestimmt hatten, keine Widerrede hatten sie geduldet, da hatte ich plötzlich kehrtgemacht und bin an dem Fischer-von-Erlach-Krankenhaus vorbei durch die Gaswerkgasse auf das Arbeitsamt, und schon auf diesem Weg, schon im Augenblick der Kehrtwendung hatte ich gedacht, daß ich
jetzt auf dem richtigen Wege
sei. Viele Jahre hatte ich an jedem Morgen aufwachend gedacht, daß ich den von meinen Erziehern als Verwaltern mir aufgezwungenen Weg abzubrechen hätte, aber ich hatte nicht die Kraft dazu, so viele Jahre mußte ich diesen Weg widerwillig und unter der größten Kopf- und Nervenanspannung gehen, bis ich urplötzlich die Kraft gehabt habe, den Weg abzubrechen, zu einer hundertprozentigen Kehrtwendung, an welche ich selbst am wenigsten geglaubt hatte, aber eine solche Kehrtwendung ist nur auf dem absoluten Höhepunkt der Gefühls- und Geistesanstrengung möglich, in einem solchen Augenblick, in welchem man die Kehrtwendung vollziehen oder sich nurmehr noch umbringen kann, wenn der Widerstand gegen alles, das ein solcher Mensch, wie ich damals einer gewesen bin, der größte Widerstand ist, der tödliche Widerstand ist. Wir haben in einem solchen lebensrettenden Augenblick einfach gegen alles zu sein oder nicht mehr zu sein, und ich hatte die Kraft gehabt, gegen alles zu sein, und bin
gegen alles
auf das Arbeitsamt in der Gaswerkgasse gegangen. Während die Lernmaschine in der Stadt schon wieder ihre sinnlosen Opfer forderte, hatte ich mich ihr durch die Kehrtwendung in der Reichenhaller Straße entzogen, ich wollte von einem Augenblick auf den andern nicht mehr eines der Tausende und Hunderttausende und Millionen Lernmaschinenopfer sein und drehte mich um und ließ den Sohn des Regierungsrates allein seinen Weg gehn. Zu deutlich war mir die Konsequenz meiner eigenen Kraftlosigkeit an diesem Morgen gewesen, als daß ich wieder einmal nachgeben hätte können: ich wollte mich nicht vom Mönchsberg stürzen, ich wollte leben, und so hatte ich an diesem Morgen kehrtgemacht und war in Richtung Mülln und Lehen um mein Leben gelaufen, immer schneller und schneller, alles zurücklassend, was mir zur tödlichen Gewohnheit geworden war in den letzten Jahren, tatsächlich und endgültig alles, und ich flüchtete tatsächlich in Todesangst in das Arbeitsamt, ich bin nicht hineingegangen in das Arbeitsamt, wie die meisten hineingehen, ich bin in Todesangst hinein
geflohen
, innerhalb weniger Minuten
alles in mir und gegen alles
auf den Kopf stellend durch die Müllner und durch die Lehener Straßen gelaufen und in das Arbeitsamt in Todesangst. Ich sagte mir
jetzt oder nie
, daß es im Augenblick sein mußte, war mir klar. Ich hatte schon viel zu viele Verletzungen davongetragen, als daß jetzt noch Zeit zum Zögern gewesen wäre. Durch dieses abstoßende, in mir Furcht erregende, von allen nur möglichen Arten von Armut stinkende Gebäude als Arbeitsamt muß ich noch durch, hatte ich gedacht, wie ich die Treppen des Arbeitsamtes hinaufgestiegen bin, durch dieses verabscheuungswürdige Haus, in welchem es mehr nach Existenzabtötung schmeckte als anderswo, dann bin ich gerettet. Ich verlasse dieses entsetzliche Gebäude nicht, bevor mir nicht eine Lehrstelle als Überlebensstelle vermittelt ist, habe ich gedacht und bin in das Zimmer der Lehrstellenvermittlungsbeamtin getreten. Ich hatte keinerlei Vorstellung, was für eine Lehrstelle ich wollte, aber je länger ich der Beamtin gegenübergestanden war, desto klarer war mir, daß nur eine Lehrstelle, und ich wollte doch eine Lehrstelle, nicht nur eine Beschäftigung, daß nur eine Lehrstelle in Frage komme, die mich mit möglichst vielen Menschen auf möglichst
nützliche
Weise zusammenbringt, und während die Beamtin in ihrem Karteikasten hin und her suchte, stand für mich fest: ich gehe in ein Lebensmittelgeschäft. Die Berufe, in welchen der, der sie ausübt, die meiste Zeit auf sich selbst zurückgeworfen ist wie in jedem Handwerk, kamen für mich nicht in Frage, weil ich unter Menschen wollte, und zwar unter

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