Die Baeren entdecken das Feuer
Jäger.
»Mach dir nicht die Mühe, am Sonntag zu kommen«, sagte Mutter zu Wallace jr. und zwinkerte ihm zu. »Ich bin eine Million Meilen gefahren, und ich habe eine Hand bereits an der Pforte.« Ich bin daran gewöhnt, daß sie solches Zeug von sich gibt, besonders im Herbst, aber ich fürchtete, es würde den Jungen traurig machen. Tatsächlich sah er bekümmert aus, als wir abfuhren, und ich fragte ihn, was los sei.
»Wie ist es möglich, daß sie eine Million Meilen gefahren ist?« fragte er. Sie hatte ihm erzählt, daß es jeden Tag achtundvierzig Meilen gewesen seien, neununddreißig Jahre lang, und er hatte auf seinem Taschenrechner ausgerechnet, daß dabei nur 336.960 Meilen herauskamen.
»Alles in allem, gesamte Fahrleistung«, sagte ich. »Und übrigens sind es achtundvierzig morgens und achtundvierzig am Nachmittag. Dazu kommen die Fußball-Ausflüge. Und dazu kommt, daß alte Leute gern ein bißchen übertreiben.« Mutter war die erste weibliche Schulbus-Fahrerin im ganzen Staat gewesen. Sie machte es jeden Tag und versorgte nebenbei noch eine Familie. Dad beschäftigte sich nur mit der Landwirtschaft.
Normalerweise fahre ich bei Smiths Grove von der Interstate ab, aber an diesem Abend fuhr ich weiter nach Norden bis Horse Cave und denselben Weg wieder zurück, damit Wallace jr. und ich die Bärenfeuer sehen konnten. Es waren nicht so viele, wie man nach den Fernsehsendungen vermutet hätte – alle sechs oder sieben Meilen eines, versteckt zwischen Bäumen oder unter einem Felssims. Wahrscheinlich suchten sie genauso nach Wasser wie nach Holz. Wallace jr. hätte gern angehalten, aber es verstößt gegen das Gesetz, auf der Interstate anzuhalten, und ich hatte Angst, die Polizei würde uns erwischen.
Im Briefkasten war eine Karte von Wallace. Ihm und Elizabeth ging es ausgezeichnet und sie amüsierten sich prächtig. Kein Wort an Wallace jr., doch dem Jungen schien das nichts auszumachen. Wie die meisten Kinder in seinem Alter hat er keinen Spaß daran, mit seinen Eltern zu verreisen.
Am Samstagnachmittag rief das Heim bei mir im Büro an (Burley Belt, Dürre & Hagel) und hinterließ die Nachricht, daß Mutter nicht mehr da sei. Ich war unterwegs. Ich arbeite Samstag. Es ist der einzige Tag, an dem viele Teilzeit-Farmer zu Hause anzutreffen sind. Mein Herz setzte buchstäblich einen Schlag aus, als ich anrief und mir die Nachricht ausgerichtet wurde. Aber nur einen Schlag. Ich war seit langem darauf vorbereitet. »Es ist eine Gnade für sie«, sagte ich, als ich die Schwester am Apparat hatte.
»Sie haben falsch verstanden«, entgegnete die Schwester. »Sie ist nicht verschieden, sie ist verschwunden, weggelaufen. Ihre Mutter ist uns entwischt.« Mutter war durch die Tür am Ende des Korridors geschlüpft, als niemand sie beobachtete; sie hatte ihren Kamm wie einen Keil zum Öffnen der Tür benutzt und einen Bettüberwurf mitgenommen, der dem Heim gehörte. Was ist mit ihrem Tabak? wollte ich wissen. Auch weg. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß sie nicht beabsichtigte zurückzukommen. Ich befand mich in Franklin, und ich brauchte keine Stunde, um auf der I-65 zum Heim zu fahren.
Die Schwester erzählte mir, daß sich Mutter in letzter Zeit immer verwirrter benommen habe. Natürlich, so etwas sagen sie immer. Wir sahen uns auf dem Grundstück um, das nur aus glattem Gelände bestand, ohne Bäume zwischen der Interstate und einem Sojabohnenfeld. Dann riet man mir, eine Vermißtenanzeige im Büro des Sheriffs aufzugeben. Ich mußte für ihre Unterkunft und Pflege zahlen, bis sie offiziell als vermißt eingetragen war, was erst am Montag der Fall sein würde.
Es war schon dunkel, als ich nach Hause zurückkehrte, und Wallace jr. war dabei, das Abendessen zu bereiten. Das bedeutete nichts anderes als das Öffnen von Dosen, die bereits ausgewählt waren und mit einem Gummiband zusammengehalten wurden. Ich erzählte ihm, daß seine Großmutter verschwunden sei, und er nickte und sagte: »Sie hat es uns ja angekündigt.« Ich rief in Florida an und hinterließ eine Nachricht. Mehr konnte im Moment nicht getan werden. Ich setzte mich und versuchte fernzusehen, doch es gibt nichts Gescheites. Dann blickte ich zur Hintertür hinaus und sah auf der anderen Seite der nach Norden führenden Fahrbahnen den Schein eines Feuers durch die Bäume blinken, und mir wurde klar, daß ich vielleicht wußte, wohin sie gegangen war und wo ich sie finden würde.
Es war entschieden kälter geworden, also
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