Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
schüttelte heftig den Kopf Ihre schwarzen Haare wurden von einem festen Kamm gehalten. Anton Keil stand auf »Lass mich dein Haar fühlen.«
Ehe Christine etwas sagen konnte, hatte ihr der öffentliche Ankläger den großen Kamm aus dem Haar gezogen und ihr prüfend über den Kopf gestrichen. Er untersuchte den Kamm, dann wickelte er ein dünnes Metallband ab. »Eine gefeilte Uhrfeder.« Der öffentliche Ankläger nickte seinem Sekretär zu. »Bring die Frau in den Nebenraum und lass sie bitte von der Frau des Zollinspektors durchsuchen, jeden Saum, und vor allem das Mieder.«
Christine hatte die Lippen fest aufeinander gepresst.
»Du liebst ihn«, sagte Anton Keil. Sie nickte stumm.
Die Frau des Zollinspektors fand in ihrer Wäsche noch zwei gebogene Eisenstücke und ein dünnes Messer. Der öffentliche Ankläger machte Christine keine Vorwürfe. Auf dem Weg zum Westflügel des ›Kölner Hofs‹ sprach er freundlich mit ihr. Im Zellenflur übergab er sie dem Wärter. »Sie darf eine Stunde zum Mathias Weber.«
Christine eilte durch den Gang und blickte durch die vergitterten Gucklöcher. An der fünften Eichentür blieb sie stehen und schrie seinen Namen. Der Wärter öffnete, und Christine stürzte in die Zelle. Sofort verschloss der Alte wieder die Eichentür.
Anton Keil hatte im Flur gewartet. Jetzt bedeutete er dem Gefängniswärter durch ein Zeichen, in seinen Raum zu gehen. Er selbst schlich leise an den Zellen vorbei und blieb an der fünften Tür stehen. Er hörte die beiden sprechen. Mathias fragte immer wieder: »Sag, wie geht es meinem Kind?« und »Wie groß ist sie?« und »Hat sie Schuhe?« Christine weinte und antwortete stockend, und dann hörte der öffentliche Ankläger lange nichts als ihr Schluchzen.
Später sagte Mathias ruhig: »Ich muss auf die Guillotine. Willst du noch was für mich tun?«
»Alles, Mathias, aber sie haben mir die Nägel und die Säge abgenommen.«
»Das nicht. Du sollst einen Raub für mich machen.«
Anton Keil presste sein Ohr an das Holz. Es war gleichgültig, was sich die beiden erzählten, nur fliehen durfte sein Gefangener nicht mehr. Er hörte jetzt, wie Mathias die Frau bat, seinen Kopf unmittelbar nach der Hinrichtung zu entwenden.
»Gib den Henkersknechten jedem einen Golddukaten. Ich hab gehört, die bringen meinen Kopf erst ins Krankenhaus beim Ursulinenkloster. Red noch vorher mit ihnen. Wenn sie dann nachher den Kopf ins Krankenhaus tragen, kannst du sie abpassen.«
Christine jammerte und schluchzte. Der öffentliche Ankläger verließ seinen Horchposten und ging langsam die Treppe zum Ausgang hinunter.
Christine zog in das Bordell der Düwels Trück. Als sie der fetten Wirtin erzählte, dass sie die Frau des Fetzers sei, wurde sie freundlich aufgenommen. Sie erzählte der Düwels Trück von ihrem Plan. »Wir werden dir helfen«, versprach die Wirtin. »Ich werde selbst mit den Henkersknechten sprechen.«
17.–18. Februar 1803
Der Kapuzinermönch Pater Asterius wohnte dem Prozess gegen den Angeklagten Mathias Weber nicht bei. Es war für ihn leichter, die Verurteilten auf ihrem letzten Gang zu begleiten, wenn er nicht alle Verbrechen kannte, die sie begangen hatten.
Weil er bei den Ursulinerinnen wohnte, nannte man ihn in Köln nur den Ursulinen-Prediger. Er versah das Amt des Beichtvaters für die zum Tod Verurteilten, seit die Franzosen in Köln einmarschiert waren. Oft hatte er schon zwei Tage und Nächte bei einem Mörder in der Zelle verbracht. Er hatte ihn beruhigt und ihm mit seiner eindringlichen Stimme von Gott und der Gnade berichtet. Meist war es ihm gelungen, den verbitterten und durch die lange Haft zermürbten Mann zur Reue zu bringen.
Den Fetzer hatte er noch nie gesehen. Von dem öffentlichen Ankläger war ihm nur mitgeteilt worden, dass Mathias Weber ihn erst nach der Urteilsverkündung sprechen wolle. Seit dem späten Nachmittag des 14. Februar wartete Pater Asterius im Amtszimmer des öffentlichen Anklägers auf das Ende der Verhandlung. Er blätterte in der dicken Akte des Verhörs. Über der letzten Seite stand: Raub Nr. 192.
Draußen war es bereits dunkel. Endlich hörte der Pater Schritte vor dem Amtszimmer. Diepenbach stürzte herein.
»Zum Tode. Am 19. muss er auf die Guillotine.«
»Wie hat er es aufgenommen?«
Der Sekretär setzte sich zu dem Prediger. »Noch nie habe ich einen Menschen wie den Fetzer gesehen. Als der Präsident Konen in die Stille des Saales rief: ›Wir verdammen den Mathias Weber zum
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