Die Ballade vom Fetzer: Historischer Roman (German Edition)
der linken Halsseite des Gefangenen ab.
»Na, hab ich die Lustseuche?«
Der Doktor flüsterte dem öffentlichen Ankläger etwas zu.
»Sagen Sie es mir. Daran verreck ich doch?«
Anton Keil nickte. »Der Doktor meint, dass du schon bald in das letzte Stadium der Krankheit kommst.«
»Wie ist das?«
Der öffentliche Ankläger fragte den Arzt. Durant sprach schnell und tippte sich häufig an die Stirn. Dann zeigte er auf den Gefangenen.
»Was ist?«
»Erst hattest du den Ausschlag, dann Schwellungen und Geschwüre. Danach kommt Müdigkeit. Später wirst du nur noch lallen, und dann stirbst du langsam.«
»Müde bin ich schon lange!« Mathias lachte.
Der Doktor schüttelte verständnislos den Kopf, griff nach seinem Mantel und öffnete die Tür des Amtszimmers. Erschrocken fuhr er zurück. Vier Gewehrläufe richteten sich auf seine Brust. Anton Keil rief einen scharfen Befehl, dann entschuldigte er sich bei dem französischen Arzt. Die Wachsoldaten ließen den Chirurgen passieren und schlossen die Tür.
Mathias war wieder ernst geworden. »Ich häng lieber. Ich will nicht langsam zum Idioten werden.«
»Fetzer, du hängst nicht!«
»Was?«
»Du kommst auf die Guillotine.«
Mathias wischte sich über die Augen. »Was ist das? So wie in Frankreich?«
Anton Keil nickte.
»Ich hab noch nie eine gesehen. Malen Sie mir eine auf«
»Warum willst du das?«
Mathias schlug mit seiner linken Faust in seinen rechten Handteller. »Ich will genau wissen, wie ich sterbe. Ich gesteh keinen Bruch mehr. Erst will ich so eine …«, er fand das Wort nicht, »so ein Ding sehen.«
Der öffentliche Ankläger rief nach seinem Sekretär. Als Diepenbach den Raum betrat, ging Mathias auf ihn zu. Der Sekretär wich etwas zurück. »Du warst doch in Bergen. Bei meiner Verhaftung!« Diepenbach nickte.
»Mal mir eine!«
»Was soll ich tun?«
»Diepenbach, zeichne ihm bitte eine Guillotine, er möchte genau wissen, wie sie aussieht.«
An diesem Tag starrte Mathias in seiner Zelle nur noch auf das Blatt mit der Zeichnung. Immer wieder legte er die Kuppe seines Zeigefingers in die Mulde unterhalb des schrägen Messers. »Rutsch«, flüsterte er und knickte die ersten Glieder des Fingers. Mit dem Stiel seines Löffels ritzte er elf kleine Guillotinen an die Wand über dem Strohsack. Langsam malte er unter jedes Messer ein kleines Strichmännchen. Als der alte Gefängniswärter den Napf und den Löffel wieder aus der Zelle holte, sah er die Zeichnungen. »Gotteslästerer«, brummte er.
Abends erklärte Mathias dem öffentlichen Ankläger: »Für jeden Überfall, den ich erzähl, mal ich eins von den Dingern.« Anton Keil bot ihm eine Zigarre an. Mathias schüttelte den Kopf »Ich will Pfeife rauchen.«
Schon am nächsten Tag brachte Diepenbach eine Tonpfeife und Tabak ins Gefängnis. Mathias hatte zu den elf Guillotinen noch drei dazugemalt.
Anton Keil berichtete seinem Gefangenen, dass jetzt beinahe alle Mitglieder der Neuwieder Bande in den Gefängnissen der Grenzstädte saßen. »Ich kann sie nicht verhören, viele werden wieder freigelassen, wenn man ihre Schuld nicht beweisen kann. Aber ich will sie alle haben.«
»Wenn es mit mir aus ist, soll es für die anderen auch vorbei sein.« Mathias erzählte von seinem ersten Überfall in Arnheim. Er berichtete von Hefrich und Plötz und beschrieb sie genau. Er strahlte stolz, als er zu der Auseinandersetzung mit dem Unteroffizier kam.
Im Dezember waren in die Wand seiner Zelle mehr als einhundertfünfzig kleine Guillotinen geritzt. Anton Keil besuchte ihn nicht mehr im Westflügel des ›Kölner Hofs‹. Jeden Nachmittag wurde Mathias von sechs Wachsoldaten in das Amtszimmer des öffentlichen Anklägers gebracht. Diepenbach schrieb das Verhör im selben Raum mit. Seit Anton Keil dem Gefangenen erzählt hatte, dass er ein Buch über sein Leben schreiben wolle, durfte der Sekretär mit im Zimmer sitzen. Oft fragte Mathias: »Hast du auch alles genau aufgeschrieben?«
Den Überfall auf den Pfarrer Pithahn in Mülheim ließ er sich immer wieder vorlesen. Dann fragte Anton Keil: »Willst du nicht mit Pater Asterius sprechen?«
»Nein, den Pfaff will ich erst kurz vorher sehen. Wird er meinen Kopf nachher mit meinem Rest zusammentun?«
»Nein, dein Kopf wird nicht begraben.«
Mathias wischte sich über die Stirn. »Was macht ihr damit?«
Der öffentliche Ankläger stellte sich ans Fenster. »In Wien gibt es einen Professor Gail, der untersucht die Köpfe.«
»Ich will nicht
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