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Die Ballonfahrerin des Königs

Titel: Die Ballonfahrerin des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Douglas
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heute wird es zu spät kommen, aber wenigstens können wir
     uns dann morgen auf ein gutes Essen freuen.» Er versuchte zu lächeln. «Sie haben mir noch nichts von Ihrem Ausflug nach Paris
     erzählt. Wir sind alle gespannt, was Sie uns berichten werden. Doch nun will ich Sie nicht länger stören, Sie wollen sich
     gewiss noch umziehen.»
     
    Marie-Provence hatte sich gerade ihres einfachen blauen Kleides entledigt, als Ernestine nach einem Anklopfen hereinschlurfte.
    «Ah, du kommst wie gerufen, um mich zu schnüren!», empfing Marie-Provence Rosannes Mutter. Sie deutete auf ein Schälchen.
     «Weißt du, ob wir noch mehr Puder haben?»
    «Ich habe heute welchen von der Küchenwand abgeschabt», nuschelte die Siebzigjährige. Echter Puder war teuer und ein Luxus,
     den sich die heimlichen Bewohner von Maisons nicht leisten konnten.
    Marie-Provence bepuderte sich großzügig Gesicht und Dekolleté. Das Schönheitspflästerchen klebte sie mit Eiweiß an, um es
     morgen Abend wieder benutzen zu können.
    «Très bien. Und jetzt, das Korsett!» Ernestine trat von hinten an Marie-Provence heran und packte die Bänder, die von dem
     steifen Kleidungsstück herabhingen.
    Marie-Provence war dankbar, dass die alte Dienerin, die einst im Gefolge der Vezons ins Schloss gekommen war, aber inzwischen
     allen Bewohnern zur Hand ging, längst nicht mehr die Kraft besaß, ihr die Luft gänzlich abzuschnüren. Sie drehte sich, während
     Ernestine das Korbgeflecht befestigte, das ihren Hüften eine eckige, weitausladende Form verleihen würde. «Rosanne lässt dir
     schöne Grüße ausrichten, Ernestine.»
    |40| «Geht es ihr gut? Ist sie wohlauf?»
    «Ja, das ist sie.» Marie-Provence glitt in ein seidenes Unterkleid, das mit gerüschten Taftbändern verziert war. Der untere
     Rand des Stoffes war inzwischen arg abgenutzt und auch mehr grau als perlweiß, doch das war nicht zu ändern. Über das Unterkleid
     legte sich der in blassem Rosa gehaltene Rock. Er sah noch recht ordentlich aus, versicherte sich Marie-Provence, den schlechtgeflickten
     Riss an der Seite sah man kaum.
    «Und jetzt Ihr Haar.»
    Marie-Provence zuckte zusammen, als ihr die alte Dienerin mit steifen Fingern eine Haarnadel in die Kopfhaut bohrte. Die weiße
     Perücke ließ Marie-Provence um einen ganzen Kopf größer erscheinen. Das Haarteil war etwas zerzaust, doch in der spärlichen
     Beleuchtung des Abendessens würde das nicht auffallen.
    Marie-Provence betrachtete sich in einer großen Spiegelscherbe. «Weshalb lebst du eigentlich nicht bei deiner Tochter?», fragte
     sie, während Ernestine ihren Hals mit einem Samtband schmückte. «Warum tust du dir das alles hier an? Du hast doch jemanden,
     bei dem du wohnen kannst!»
    Ernestine verzog den Mund. «O non, Mademoiselle. Das würde nicht gutgehen! Die Rosanne und ich, wir haben da ein paar grundsätzlich
     verschiedene Ansichten. Darüber, was unter Würde zu verstehen ist, zum Beispiel.»
    Marie-Provence war überrascht. «Würde? Willst du damit sagen, Rosanne wirft dir vor, dich zu entwürdigen, weil du weiterhin
     bei den Vezons bleibst? Weil du deine Herrschaften während der Unruhen nicht verlassen hast und ihr Schicksal teilst?»
    «O nein, das ist es nicht.» Ernestine sah sie ruhig aus ihren alten, wässrigen Augen an. «Warum sollte ich mir so etwas vorwerfen
     lassen? Ich lebe mit den Vezons seit über fünfzig Jahren. Sie sind meine Familie. Daran werden auch ein paar Schreihälse nichts
     ändern, die sich nicht schämen, ihre Freunde zur Guillotine zu schicken.»
    |41| «Das heißt, du meinst   …»
    «Ganz genau.» Ernestine schob trotzig ihre faltigen Lippen vor, hinter denen schon lange keine Zähne mehr waren. «Rosanne
     ist es, die ihre Würde tagtäglich mit Füßen treten lässt. Und so lange sich das so verhält, werde ich keinen Schritt mehr
     in ihr Haus tun.»
    ***
    Nach und nach trudelten die Bewohner des Schlosses ein, um das Abendessen einzunehmen. Die noch intakten Spiegel des Raumes
     warfen Bilder von üppigen Stoffen und kunstvoll aufgetürmten Perücken zurück, während die spärliche Beleuchtung zweier Öllämpchen
     gnädig darüber hinwegzusehen half, dass die Stoffe fleckig, die Strümpfe geflickt und die Frisuren lange nicht mehr richtig
     gepudert worden waren.
    «Meine Liebe, ich hörte, Sie seien den ganzen Tag unterwegs gewesen. Bitte erzählen Sie uns doch von Ihren Erlebnissen. Wie
     geht es zu, in der Hauptstadt? Laufen die Menschen dort inzwischen alle

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