Die Ballonfahrerin des Königs
dem ihr wöchentlicher
Ball im Festsaal des ersten Stockes stattfand. Das Eckzimmer, in dem sie zu essen pflegten, lag rechts von der prächtigen
Eingangshalle. Es war nicht so groß, als dass sich acht Menschen darin verloren vorgekommen wären, und strahlte eine kultivierte
Freundlichkeit aus. Ein Architekt hatte es mit Nischen, |44| Stuckarbeiten und den klassisch gestalteten Statuen der vier Jahreszeiten dekoriert.
Ernestine stellte die beiden Teller ab. Wie immer bediente sie tante Bérénice und Madame de Vezon zuerst, und wie immer schwappte
die Suppe über den Tellerrand, als sie sie abstellte. Dann schlurfte sie davon, um zwei weitere Teller zu holen.
Marie-Provence tätschelte die magere Hand ihrer Tante. «Morgen können wir uns auf Kaninchen freuen, tante Bérénice. Dank des
lieben abbé werden wir ein Festessen genießen!»
Bis alle Tafelnden ihr Mahl gebracht bekommen hatten, war die lauwarme Suppe kalt und die ausgehängte Tür, die ihnen aufgebockt
als Tisch diente, mit breiigen Pfützen übersät.
«Na dann, Mahlzeit!», schnaubte Clément und griff zu seinem Löffel.
«Sagen Sie, ma chère», sprach Madame de Vezon Marie-Provence an, während ihre schlanken weißen Finger das Silberbesteck balancierten,
«haben Sie an die kleine Besorgung gedacht, um die ich Sie bat? Das Moschus- und Rosenparfüm?»
Marie-Provence war einen Augenblick sprachlos. «Ich glaube, es liegt ein Missverständnis vor», antwortete sie schließlich
vorsichtig. «Ich war der Meinung, Ihnen erklärt zu haben, wie schwierig der Kauf solcher Güter derzeit ist.»
Madame de Vezon lächelte mit hochgezogenen Brauen. «Es wird heute nicht anders sein als früher, meine Liebe. Zahlen Sie den
verlangten Preis, und Sie werden fündig werden. Auf dem Schwarzmarkt …»
«Werden Pfirsiche feilgeboten. Früchte gehören im Moment zu den Kostbarkeiten, die sich nur gut Betuchte leisten können –
zu denen wir im Übrigen nicht zählen. Alle anderen essen Brot, und auch das nur in rationierten Mengen. Vielleicht können
Sie sich vorstellen, wer sich in solchen Zeiten den Kopf über Parfüm zerbricht.»
«Hören Sie, die Sorgen des Volkes interessieren mich |45| nicht und haben mich auch noch nie interessiert», antwortete Madame de Vezon schneidend. Ihr schönes Gesicht verzerrte sich.
«Keiner kann von mir verlangen, dass ich für diese blutrünstigen, abscheulichen Massen auch nur einen Hauch …»
Ihr Mann unterbrach sie sanft. «Lassen Sie es gut sein, ma chère. Unter uns: Der Ihnen eigene Duft kann von keinem Wasser
der Welt versüßt werden. Sie wissen, wie sehr ich ihn liebe.»
Madame de Vezon stieß einen zischenden Laut aus, griff dann aber wortlos zu ihrem Löffel. Sie gönnte Marie-Provence keinen
Blick mehr und machte sich daran, mit graziösen und exakten Bewegungen ihre Mahlzeit einzunehmen.
Clément hatte seinen Teller bereits geleert. «Wir hätten da noch das Porzellan und das Silber, das wir letzte Woche fanden.»
Er hielt seinen hauchdünnen Teller auf Armlänge gegen das Licht. «Porcelaine de Sèvres. Einmalige Qualität. Ich hatte einst
ein ähnliches Service. Da könnte eine hübsche Stange Geld bei rausspringen, wenn wir es verkaufen.» Er schenkte Madame de
Vezon ein strahlendes Lächeln, das senkrechte Falten in seine runden Wangen schlug. «Genug Geld, um uns endlich mal wieder
ein paar Wünsche zu erfüllen.»
«Keine schlechte Idee, Monsieur. Allerdings hat sie einen Haken: Nichts von alledem gehört uns», wandte der abbé d’If freundlich
ein. «Dass das Porzellan und das Besteck unter einer gusseisernen Kaminplatte versteckt lagen, lässt darauf schließen, dass
der Bruder Seiner verstorbenen Majestät Louis XVI., Graf d’Artois, fest darauf vertraut, es nach seiner Wiederkehr wiederzufinden.»
«Monsieur l’abbé hat recht», wies Madame de Vezon den Händler hochmütig zurecht. «Ich werde auf keinen Fall auf das Porzellan
verzichten. Wir haben monatelang wie Bauern diniert, ich bin nicht bereit, mir das erneut zuzumuten.»
«Ich fürchte außerdem, wir würden nicht annähernd die Preise erzielen, die wir uns vorstellen.» Marie-Provence schüttelte
den Kopf. «Silber, Möbel und Einrichtungsgegenstände |46| überschwemmen derzeit den Markt. Alles, was beschlagnahmt wurde, stapelt sich in Lagern und sucht Abnehmer.»
«Tatsächlich? Ganze Einrichtungen?» Clément stellte den Teller wieder ab. «Ja, das glaube ich. Ich wüsste zu
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