Die Ballonfahrerin des Königs
gerne, ob mein
Bett dort irgendwo steht.»
«Ihr Bett, Monsieur?», fragte tante Bérénice.
Marie-Provence atmete ergeben aus. Sie beneidete die Tante um ihre altersbedingte Vergesslichkeit.
Clément indes plusterte sich auf, als sein Lieblingsthema zur Sprache kam. «Aber ja doch. Habe ich Ihnen nie davon erzählt?»
Sein Blick bekam etwas Träumerisches. «Kissen aus feinsten Daunen, ein Himmel aus fliederfarbener Seide, und Federn aus Madagaskar
über den Bettpfosten! Ich kenne mich aus mit Federn, ich war schließlich Hoflieferant, und glauben Sie mir: Das waren die
feinsten weißen Straußenfedern, die es gibt.» Er hieb auf den Tisch. «Ich werde mir alles zurückholen, wenn dieser Irrsinn
endlich vorbei sein wird. Und wenn ich zehn Jahre dafür prozessieren muss!»
«Sie sind ein Optimist, mon cher.» Marie-Provence freute sich, dass es oncle Constantin besserging. Das lange, hagere Gesicht
ihres Onkels war bleich, seine Augen von tiefen Schatten umringt, doch der Blick, den er Clément zuwarf, war klar. «Ich hörte
Sie schon oft ankündigen, Ihr Vermögen zurückfordern zu wollen. Stets aber blieben Sie eine Antwort schuldig: nämlich, von
wem Sie dieses zu fordern gedenken.»
«Sie stellen nichts weniger als die Frage, wer in Zukunft die Macht in diesem Land haben wird, mon cher», antwortete Monsieur
de Vezon mit einem kleinen Lächeln.
«Aber das versteht sich doch wohl von selbst!», mischte tante Bérénice sich lebhaft ein. Sie stellte das Glas, an dem sie
gerade genippt hatte, exakt in den Winkel, den ihre Gabel und ihr Dessertlöffel bildeten. «Der König natürlich!»
«Und welcher?» Monsieur de Vezon zeigte seine Zähne. Sie waren spitz wie die eines Fuchses.
« Louis XVII. , wer sonst! Der Sohn Seiner Majestät, unseres |47| ermordeten Herrschers Louis XVI. , Gott sei seiner Seele gnädig!» Tante Bérénice schlug ein Kreuz.
«Er ist im Gefängnis», antwortete Monsieur de Vezon beklommen und spielte mit einem Stück Brot.
«Richtig», bekräftigte oncle Constantin. «Und was ist mit den Mitgliedern seiner Familie passiert, die ebenfalls eingesperrt
worden waren? Seinem Vater, seiner Mutter und seiner Tante?»
«Mon Dieu, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sie den kleinen König köpfen lassen werden?», rief tante Bérénice erschrocken.
«Wie können Sie nur so reden?», platzte es aus Marie-Provence heraus. «Selbst Robespierre kann es sich nicht leisten, ein
Kind zu ermorden!» Sie fing den Blick des abbé d’If auf und senkte schnell den Kopf.
«Es ist nicht irgendein Kind, meine Liebe. Der Kleine ist der König der Franzosen. Und wie viel Respekt unsere Mitbürger vor
dem Königtum haben, haben sie überdeutlich bewiesen», meinte Monsieur de Vezon.
«Aber er ist doch keine Gefahr für Robespierre!», empörte sich tante Bérénice.
«Robespierre ist ein Allesfresser. Hat er nicht die Girondins verschluckt? Und was ist mit seinen Freunden Danton und Desmoulins?
Gehen Sie auf die place de la Révolution, Sie werden sehen, ihr Blut ist noch nicht trocken!» Monsieur de Vezon kaute nachdenklich
auf seiner Brotkruste herum. «Aus jedem Gefängnis kann man fliehen. Was wäre, wenn der junge König freikäme?» Er schüttelte
den Kopf. «Nein. Ich sage Ihnen: Robespierre will die Macht, und er wird keine Ruhe haben, solange das Kind am Leben ist.»
Oncle Constantin nickte. «Es gibt viele Arten, jemanden umzubringen», sagte er düster. «Die Guillotine ist nur eine der besonders
aufsehenerregenden davon.»
Marie-Provence schüttelte entschieden den Kopf. «Das wird nicht passieren», sagte sie. «Solange es in diesem Land noch mutige
Herzen gibt, werden sich Menschen finden, die bereit sind, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Keiner, der |48| noch etwas Mitgefühl besitzt, wird tatenlos dabei zusehen, wie ein unschuldiges Kind misshandelt wird!»
Monsieur de Vezon schnippte einen Krümel über die Tischplatte.
«Ihr Optimismus ist beneidenswert, mein Kind», sagte er trocken.
|49| 2. KAPITEL
Prairial, Jahr II
Mai 1794
«Sprich, Corbeau, was hast du herausgefunden?», drängte Cédric den Mann, der soeben zu ihm durchgelassen worden war.
Corbeau sah ihn überrascht an, und Cédric konnte sich vorstellen, warum: Ungeduld oder Temperamentsausbrüche passten nicht
zu dem Bild, das er sonst abgab. Doch diese Angelegenheit berührte ihn zu sehr, um nicht ein wenig von seiner Selbstbeherrschung
zu verlieren.
Corbeau
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