Die Bankerin
er sich hinter den Dünen, vielleicht … gab es ihn nicht.
David hatte recht schnell Portugiesisch gelernt, er konnte sich einigermaßen ausdrücken, ging einkaufen, konnte die Zeitung lesen. Und er begann zu schreiben. Er hatte die Ruhe und die Geborgenheit, ja, Esther gab ihm Geborgenheit, trotz ihrer erst knapp zwanzig Jahre, doch sie stellte keine hohen Forderungen, keine übertriebenen Ansprüche, und David schrieb Kapitel um Kapitel, und irgendwann würde er ein letztes Kapitel schreiben. Doch die Geschichte war noch nicht zu Ende.
Es war August, der fünfzehnte, ein heißer Tag mit kräftigem Südwind, der das Meer vor sich hertrieb und Gischtkronen auf die Wellen zauberte, die mit lautem Getöse an die Felsen und den Strand krachten. Esther stand vor David, sie lachte ihn an wie so oft und legte ihre Arme um ihn und küßte ihn,und er ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten, und sie sagte, sie wolle sich abkühlen und eine kleine Runde im Meer schwimmen, und David sagte, sie solle aufpassen, die Wellen wären sehr hoch. Sie lachte nur und schüttelte den Kopf und sagte, sie sei doch Rettungsschwimmerin und es gäbe gar nicht so hohe Wellen, daß sie ihr gefährlich werden könnten. Sie trug ihren roten Badeanzug, den er so gerne an ihrem zauberhaften Körper sah, und sie hatte nicht einmal ein Handtuch dabei, und vom Haus aus sah David, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ihr nach, die Spuren, die ihre Füße im Sand hinterließen, wie sie sich ins Wasser stürzte und hinausschwamm. Er sah ihren Kopf, das kräftige Rudern ihrer Arme, die sich durch die Wellen arbeiteten. Er sah die Surfer, die mit dem Wind und den Wellen kämpften.
Ihre Leiche wurde am späten Nachmittag an Land geschwemmt. Sie war beinahe unversehrt, nur ein roter unscheinbarer Fleck an ihrer Stirn. Ein Surfbrett hatte sie getroffen, sagte man, sie müsse sofort tot gewesen sein.
David saß den ganzen restlichen Tag tränenlos und stumm in sein Schicksal ergeben auf der Terrasse und blickte aufs Meer. Er hatte ein Jahr lang fast keinen Alkohol getrunken, jetzt trank er zwei Flaschen Wein und rauchte zwei Schachteln Zigaretten. Ihm wurde übel, er mußte sich zweimal übergeben. Er schlief eine Stunde, dann wachte er auf, schreiend – der Traum. Er trank wieder und rauchte. Und als die Dämmerung anbrach, versank er in einem Weinkrampf. Und als er am Morgen in den Spiegel sah, waren seine Haare grau geworden.
Er hatte geglaubt, alles gewonnen zu haben, doch er hatte wieder einmal verloren. Selbst diese Liebe war wie feiner Sand durch seine Finger geronnen, und jetzt hatte er nichts, außer Geld und einem Haus, doch er verfluchte seine Herkunft, er verfluchte sein Dasein, er raufte sich die Haare, und an manchen Tagen betrank er sich bis zur Besinnungslosigkeit.Er schrieb sein Buch nie zu Ende. Denn es würde nie jemanden geben, der ein solches Ende für möglich hielt.
Wer nach Praia da Rocha geht, kann David manchmal sehen. Er sitzt, ein alter Mann von vierundvierzig Jahren, die Haare grau, das Gesicht eingefallen, in schlabbriger, alter Kleidung in einer kleinen Bar, in der sich meist nur Einheimische aufhalten, und er trinkt Absinth und Wein. Manchmal aber gesellt sich ein Deutscher an seinen Tisch, und der Deutsche spricht, während David nur zuhört.
David war ein Wurm. Ein kleiner, elender Wurm, geringer noch als der geringste Penner, wie Nicole prophezeit hatte. Und er würde nie etwas anderes sein. Doch irgendwann würde der Wurm aufhören zu kriechen. Und vielleicht würde eines Tages ein Raumschiff ihn abholen und ihn zu dem Ort im Universum bringen, zu dem Esther schon geflogen war.
Über den Autor:
Andreas Franz wurde in Quedlinburg geboren. Er hat als Übersetzer für Englisch und Französisch gearbeitet und war jahrelang als Schlagzeuger tätig. Seine große Passion aber ist das Schreiben. Seine Maxime: »Die Leser fesseln und trotzdem (vielleicht) zum Nachdenken anregen (aber nie den Zeigefinger erheben!).« Andreas Franz ist verheiratet und hat fünf Kinder. Wenn Sie mehr über den Autor erfahren wollen, besuchen Sie seine Homepage: www.andreas-franz.org
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Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. München
Dieser Titel erschien bereits unter der Bandnummer 60805.
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