Die Bankerin
betrieb die Scheidung von Praia da Rocha aus. Er zog mit Esther in das kleine, schmucke Haus über dem Meer, etwa zehn Autominuten vom Ortskern entfernt. Ein großer Garten mit einem kleinen, weißgetünchten Zaun umrahmte das Häuschen wie ein Schutzwall, Steinplatten führten vom Tor zum Haus. Es war komplett eingerichtet; als David und Esther kamen, mußten sie nur den Staub entfernen und den Fußboden wischen und die Teppiche absaugen. Sie klappten die Fensterläden auf und ließen das weiche Licht der Atlantiksonne einfließen. David hatte endlich, was er zeit seines Lebens gesucht hatte, er war auf der Suche nach dem heiligen Gral gewesen, und er hatte ihn gefunden. Genau ein Jahr später wurde die Scheidung ausgesprochen. David flog nach Frankfurt, er sah Johanna und die Kinder. Johanna war schlank geworden, sie sah gut aus, zumindest besser als vor einem Jahr, sie war modern und farbig gekleidet, hatte eine schicke Frisur, duftete nach Shalimar, aus ihren Augen war alles Matte verschwunden, keine Schweißperle stand auf ihrer Stirn. Alexander war der einzige, der ihn umarmte. Er sagte ihm, er sei nicht böse, er hätte gelernt zu verstehen. Auch Thomas lächelte, er war auf einem Auge blind, und auch die Sehkraft auf dem anderen ließ durch eine Netzhautablösung beständig nach. Nathalie, die weiblich gewordene, ernste Nathalie, und Maximilian, der mindestens zehn Zentimeter in die Höhe geschossen war und ihn so unendlich traurig ansah, sie reichten ihm nichteinmal die Hand. Der Scheidungstermin war nach einer Viertelstunde vorüber. Es war eine Scheidung ohne Schmutz, ohne Verleumdungen.
»Du hast es geschafft«, sagte David am Ende zu Johanna, die nickte und sagte, daß ihr nichts anderes übriggeblieben sei. Sie ginge arbeiten, und sie würde gut verdienen, in einem Architekturbüro, und auch Alexander trüge zum Lebensunterhalt bei, und im nächsten Monat würden sie eine schöne, große Neubauwohnung im Vordertaunus beziehen. Alexander war untersucht worden, er war nicht HIV positiv. Die Fistelstimme hatte geblufft – oder ein Schutzengel war mit Alexander gewesen. Es war zu Ende, und sie hatten beide gewonnen. Johanna hatte ein neues Leben begonnen, eines, das sie ganz allein gestaltete und in dem sie offensichtlich eine völlig neue Form von Glück und Zufriedenheit gefunden hatte, und David, der die lästige, enge Haut der Vergangenheit abgestreift hatte und endlich frei war.
Als David zum Flughafen zurückkehrte, fiel kalter Regen auf die Stadt. Als das Flugzeug abhob und die Stadt allmählich unter ihm zu Spielzeug wurde, wußte er, daß er nie wieder hierher zurückkommen würde.
Ein weiteres Jahr verging, er sah keines seiner Kinder wieder, Briefe, die er nach Frankfurt schickte, blieben unbeantwortet. Johanna hatte David nie den Verrat an ihrer Liebe verziehen. Sie, die heilige Johanna der Schlachthöfe, die Jeanne d’Arc von Frankfurt, sie, die Pestbeulen und Eitergeschwüre gesundpflegen konnte, sie wollte nie wieder etwas mit David zu tun haben. Auch Samariterinnen haben ihren Stolz, und Johannas würde nie wieder von irgend jemandem gebrochen werden.
Zu dem Geld, das Esther von ihrem eigenen Konto abgehoben hatte, kam noch einmal die gleiche Summe, die aus dem Nachlaß von Nicole stammte. Alle noch offenen Schulden von David waren beglichen.
Davids und Esthers Leben spielte sich in einem kleinen,festgesteckten Rahmen ab, nur dann und wann gingen sie zum Essen in den Ort, oft spazierten sie am Ufer entlang und lauschten den Wellen, und Esther legte ihren Kopf an seine Schulter, und sie beobachteten die waghalsigen Flugmanöver der Seevögel, zelebrierten so manchen Sonnenuntergang und flogen und schossen durchs Universum, bis ihr Raumschiff keinen Treibstoff mehr hatte und sie landen mußten. Die Jugend war endgültig zu David zurückgekehrt, auch wenn David dann und wann wehmütig, aber ohne es Esther zu sagen, an Frankfurt zurückdachte, an Johanna, an die Kinder. Manchmal dachte er an die Schuld, die er auf sich geladen hatte, als er Nicole tötete, auf eine raffinierte Weise, von der er nur zufällig in einem Buch kurz zuvor gelesen hatte. Er ließ Esther nie wissen, daß Nicole seine Halbschwester war.
Manchmal lief David allein am Meer entlang, dann dachte er an Gott und schaute hinauf zum Himmel, ob er ihn vielleicht auf einer weißen Wolke vorbeifliegen sah, aber Gott war irgendwo, nur nie dort, wo David war. Vielleicht ritt er auf dem Kamm einer Welle, vielleicht versteckte
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