Die Bankerin
irgendwie hätte er es geschafft, wären da nicht die vier Kinder. Von der Kinderzahl her zählten sie bereits zu den Minderheiten, zu den mitleidig, aber auch spöttisch Belächelten, den jenseits der Gutbürgerlichkeit Angesiedelten. Vier Kinder – auch wenn eines davon bereits erwachsen war – in einem Land, in dem kaum noch Großwohnungen gebaut und Kindergartenplätze zu einer heißbegehrten Mangelware wurden, zeugten in den Augen vieler von grober Verantwortungslosigkeit. Vier Kinder konnten schon den ersten Schritt zur Asozialität bedeuten.
Bereits zweimal hatte er um Stundung der Raten gebeten, jetzt, beim drittenmal, hatte die Bank die Nase voll von seinen Überziehungen, Bitten und Betteleien um Stundung,und es hätte schon eines mittleren bis großen Wunders bedurft, aus dieser Misere mit einigermaßen heiler Haut herauszukommen.
Er und Johanna, diese kleine, bis vor kurzem noch so zierliche, liebenswürdige Person, die fast immer ohne zu murren zu ihm gehalten hatte (welchen Grund zu murren hätte sie in den letzten Jahren auch schon gehabt!?), suchten seit Tagen nach einem Ausweg aus der Misere, doch ihre Gedanken waren gefangen, drehten sich im Kreis, sie waren verzweifelt. Wovon sollten sie in Zukunft leben, wovon die hungrigen Mäuler stopfen? Schlaflose Nächte, Tage voll endlosem Grübeln. Die Stimmung zwischen Johanna und ihm sank auf einen Tiefstpunkt. Sie redeten nur noch das Nötigste, umarmten sich kaum noch, seit genau fünf Wochen hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen, manchmal flehten Johannas Augen voll Inbrunst nach etwas Zärtlichkeit, die er ihr nicht gab oder geben konnte, weshalb immer häufiger Spannung zwischen ihnen herrschte und sie spöttische Bemerkungen über seine Männlichkeit fallenließ, doch sie würde nie verstehen können, daß seine »männlichen« Fähigkeiten zur Zeit auf Eis gelegt waren.
Er war unzufrieden, mürrisch, kaum ansprechbar. Was Johanna als pure schlechte Laune auslegte (wer konnte es ihr verdenken?), denn in diesen Tagen vermochte selbst sie, die sonst so Einfühlsame, sich nicht in seine Sorgen- und Alptraumwelt hineinzuversetzen, die nur noch aus Grau- und Schwarztönen bestand.
Am Samstag dann
der
Brief! Die Bank. Keine Kontoauszüge, diese Briefe fühlten sich immer leichter an. Er riß ihn mit fahrigen Fingern in dem stinkenden Treppenhaus auf, blieb auf den steinernen, ausgetretenen, unansehnlichen Stufen neben einer Urinlache stehen. Der Brief kam von der Zentrale. Ein kurzes, unmißverständliches Schreiben, die Bitte, mit den aktuellen Gehaltsunterlagen am Mittwoch um zehn Uhr morgens dort vorzusprechen, um zu klären, wie ihm – ernahm aber an, vor allem der Bank – geholfen werden konnte; falls er verhindert wäre, so sollte er doch bitte am Montag morgen kurz anrufen.
Er überflog die Zeilen. Sein Puls raste, er fühlte sich wie auf einem riesigen Karussell. Er lehnte sich an die schmutzige Wand mit den Schmierereien und den getrockneten Urinfäden, schloß kurz die Augen, dachte nach. Eine Strategie, er mußte eine Strategie entwickeln. Der Brief war von einer Frau unterzeichnet worden, und wenn er überhaupt einen Vorteil für sich sah, dann den, es mit einer Frau zu tun zu haben, denn in der Regel kam er mit Frauen besser zurecht als mit Männern, was immer auch der Grund dafür sein mochte, denn er war weder groß noch muskulös, noch verfügte er über jene äußeren Attribute, auf die Frauen in der Regel flogen.
Er suchte alle Unterlagen zusammen, die ihm am Mittwoch das Leben retten konnten, Gehaltsabrechnungen, Kindergeld- und Wohngeldbescheid, Mietquittungen, Versicherungen und was sonst noch an größeren und kleineren Beträgen innerhalb eines Monats anfiel. Am Mittwoch dann, nach schlaflosen, alptraumhaften Nächten, war er bereit, den Weg zum Schafott anzutreten. Schweißnasse Hände, kein Frühstück, sein Magen rebellierte seit Tagen (am Sonntag hatte er sich fünfmal übergeben müssen!), im großen und ganzen fühlte er sich tatsächlich wie kurz vor seiner Hinrichtung – Herzklopfen, Schweißausbrüche, Durchfall, Schüttelfrost.
Mittwoch, 26. April
Der strategische Stützpunkt der Bank war in zwei riesigen Türmen untergebracht, in deren gläserner Fassade sich Schönwetter-Kumuli und der blaue Himmel spiegelten, die Türme wirkten von innen noch gewaltiger als von außen.Acht Fahrstühle sausten in einem fort rauf und wieder runter, ein ständiges Kommen und Gehen, ein vielzähliges Stimmengewirr in der
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