Die Bankerin
Millionen Mark. Seit Gründung des Unternehmens war der Umsatz Jahr für Jahr um zehn bis fünfzehn Prozent gesteigert worden. Es gab nichts, aber auch gar nichts, wovor sich die M ARQUARDT G MB H hätte fürchten müssen. Das Produkt stimmte, der Umsatz war gigantisch, das Betriebsklima ausgezeichnet. Es gab kein Mobbing, keinen Neid, alle verdienten überdurchschnittlich gut.
David von Marquardt, gerade vierzig geworden, genoß dieses Leben, das er sich in akribischer Feinarbeit aufgebaut hatte. Er lebte mit seiner Frau Johanna und den vier Kindern, von denen sie eins mit in die Ehe gebracht hatte, in einer großzügigen Villa in der nobelsten Ecke von Niederrad, er fuhr abwechselnd den Jaguar oder den Porsche, Johannabegnügte sich mit einem kleinen Renault. Es gab fast nichts, was sie sich nicht leisten konnten. Der einzige Wermutstropfen in ihrem Leben war ihr zehnjähriger Sohn Maximilian, der mit einem schweren Herzfehler zur Welt gekommen war und bereits zwölf Operationen über sich hatte ergehen lassen müssen, und die Frage war, wie lange sein ohnehin schwächlicher Körper noch durchhielt. Er ging zwar zur Schule, aber wegen der vielen Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte war er statt in der dritten erst in der zweiten Klasse. Die Ärzte sagten, es wären noch mindestens fünf Operationen notwendig, um die schlimmsten Beschwerden zu beseitigen. Ob er jedoch jemals ganz gesund sein würde, das vermochte niemand zu prophezeien.
Der zweiundzwanzigjährige Thomas studierte in Harvard Amerikanistik und Geschichte, der sechzehnjährige Alexander und die dreizehnjährige Nathalie besuchten Privatschulen; beide zählten zu den besseren Schülern ihrer Klasse, beide waren sehr musisch veranlagt, was sie offensichtlich von ihrer Mutter geerbt hatten, die, bevor sie David kennenlernte, ihr Brot als Pianistin verdient hatte. Johanna war fünf Jahre älter als David, doch das störte weder sie noch David. Seit neunzehn Jahren kannten sie sich, er hatte sich gerade an der Uni eingeschrieben, sie spielte in Bars, um den Unterhalt für sich und den unehelichen Sohn Thomas zu verdienen. Er ging noch immer zur Uni, als sie heirateten, sie spielte weiter Klavier und gab Unterricht. Mit vierundzwanzig, direkt nach seinem Examen, trat er in eine große, jedoch überalterte Firma ein, wo er es drei Jahre aushielt, bis er feststellte, daß er mit seinen Fähigkeiten am falschen Ort war. Innovationen gegenüber zeigte man sich wenig aufgeschlossen, unzählige Häuptlinge, fast alle über fünfzig, machten sich selbst das Leben schwer, und David hatte kaum Möglichkeiten, seine Kreativität zu entfalten. Er hatte heimlich und nebenbei mehrere Kontakte zu Firmen aufgebaut, die interessiert waren an innovativer Software für ihre speziellenComputerbedürfnisse. Von dem Geld, das er mit seinen ersten drei Programmen verdiente, gründete er die M ARQUARDT G MB H. Und seitdem war sein Aufstieg nicht mehr zu bremsen.
Er warf einen kurzen Blick auf die Krankmeldung von Meyer, legte sie wieder auf den Schreibtisch, ging die Notizen durch, die auf dem Tisch lagen, sah nach, welche Termine für den Tag anstanden. Er setzte sich, nahm den Hörer in die Hand und wollte gerade eine Nummer eintippen, als Frau Seubert, seine Sekretärin, in der Tür stand. Sie hatte hektische Flecken am Hals, brachte kaum einen Ton heraus, wurde etwas rüde von einem Kerl in einem beigefarbenen Lederblouson zur Seite geschoben. Jetzt sah David noch mehr Männer auftauchen, und bevor er irgend etwas sagen konnte, meinte der in dem Lederblouson: »Herr Marquardt?«
»Ja?«
»Bitte stehen Sie auf und rühren Sie nichts mehr an. Sie sind vorläufig festgenommen.«
»Bitte was?« fragte David ungläubig und erhob sich von seinem Sessel; er versuchte zu grinsen, was aber gründlich mißlang. »Warum, um alles in der Welt, bin ich verhaftet?«
»Stellen Sie doch um Himmels willen nicht so blöde Fragen!«
»Ich stelle sie aber!« schrie David erregt. »Ich habe nämlich keine Ahnung, was hier eigentlich vorgeht!«
»Na gut, spielen wir das Spiel«, sagte der Kerl mit zynischem Grinsen und zündete sich ungeniert eine Zigarette an, obgleich keiner in der Firma rauchte. »Sie sind pleite, bankrott. Es ist aus und vorbei mit der M ARQUARDT G MB H. Jetzt kapiert?«
»Was sagen Sie da? Ich und pleite? Sie müssen sich täuschen«, sagte David von Marquardt und brachte wieder nur eine Grimasse zustande.
»Ja, ja, das sagen alle …«
»Nein, verdammt noch mal,
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