Das Halsband der Königin
A l e x a n d re D u m a s
D a s H a l s b a n d
d e r
K ö n i g i n
Bearbeitet und übersetzt
von Christel Gersch
Aufbau-Verlag
Titel der französischen Originalausgabe: Le Collier de la Reine 1. Aufl age 1981
© Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1981 (deutsche Übersetzung) Einbandgestaltung Heinz Ebel/Erich Rohde
III/9/1 Grafi scher Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden Printed in the German Democratic Republic
Lizenznummer 301. 120/183/81
Bestellnummer 612 924 8
DDR 1,85 M
Alexandre Dumas der Ältere hat so viele historische Romane geschrieben, daß man ihre genaue Zahl nicht weiß. Die Zeit Napoleons hatten die Nachlebenden sich zu Legenden verklärt, die Wirklichkeit empfand man als die der »verlorenen Illusionen«; wie sehr man nach dem Wunderbaren lechzte, beweisen die Mas-senerfolge Dumas’. Die Zeitungsverleger hatten als unfehlbares Mittel, ihre Aufl agen zu steigern, den Fortsetzungsroman soeben entdeckt, und kein Autor steigerte sie unfehlbar wie Dumas. Er hätte am liebsten die ganze Weltgeschichte in eine Romankette verwandelt. Man sieht – und denkt an Balzac –, die gigantischen Pläne waren damals nicht einmalig. Mit den Eigenschaften seiner prachtvollen Musketiere selber begabt, dazu mit sicherem Theaterinstinkt und gewaltiger Arbeitskraft, der einige gute literarische Mitarbeiter assistierten – so inszenierte er immerhin die französische Geschichte. »Es ist eine Geschichte, die nicht ganz wahrheitsgetreu, aber auch nicht ganz falsch ist, und sie ist in jedem Augenblick wunderbar dramatisch« (André Maurois in
»Die drei Dumas«).
Die Halsbandaffäre, die in der Tat die Vorgeschichte der Revolution eröffnete und seit der man, laut Napoleon, den Tod der Königin hat voraussehen können, wird mit einer schmerz-lichen Liebesgeschichte verbunden, und Marie-Antoinette erscheint weniger als die allzu leichtfertige Herrscherin, die sie war, denn als eine unglückliche Frau. Cagliostro alias Joseph Balsamo, der dem Leser aus dem ersten Band dieser Romanfolge (»Der Ratschluß des Magiers«) bekannt ist und der in Wirklichkeit ein Scharlatan war, wirkt im Hintergrund als geheimnisvoller Lenker der Geschicke und geschworener Diener der Geschichte.
Im übrigen stimmen die Ereignisse ungefähr mit der Historie überein. Die Abenteurerin Jeanne de La Motte, die Königin, der Juwelier Boehmer, der Kardinal Louis de Rohan, der Fälscher Réteaux de Villette, das Mädchen Oliva waren nach den über-lieferten Prozeßakten tatsächlich und etwa in der dargestellten Weise Akteure in diesem Kriminalfall. Wo Dumas vornehmlich aus kommerziellen Gründen – er bezog hohes Zeilenhonorar –
seine Handlung allzusehr gedehnt hat, haben wir ein wenig »Luft herausgelassen«, damit auch das moderne Publikum mit André Maurois sagen kann: »Regt Dumas zum Denken an? Selten. Zum Träumen? Nie. Zum Weiterlesen immer.«
Zwei unbekannte Damen
Der Winter 1784 war hart und lang.
Für den Reichen sind Eisblumen am Fenster ein Luxus der Natur, der den Luxus seiner Räumlichkeiten erhöht. Für ihn hat der Winter seine Diamanten, seine Damastweiße, sein silber-nes Spitzenwerk. Jedes Unwetter betrachtet er vom behaglichen Kaminfeuer her als willkommenen Dekorwechsel, den der ewige Maschinist, den man Gott nennt, für ihn veranstaltet. Wem die Düfte eines köstlichen Diners in die Nase steigen, der erfrischt den Geist von Zeit zu Zeit gern durchs halboffene Fenster an der eisigen Schneeluft draußen, um unter den Gästen an schim-mernder Tafel mit desto mehr Witz zu brillieren, falls er welchen hat.
Aber wer hungert und friert hat keinen Sinn für die Pracht der Natur. Er fl ieht den Himmel ohne Sonne und also ohne Lächeln für den Unglücklichen. In jenem Jahr strömten die Armen aus den Dörfern in die Städte, wie der Winter die Wölfe in die Dörfer treibt. Von Januar bis Mitte April litten und starben an Kälte und Hunger von reichlich fünfhunderttausend Einwohnern dreihun-derttausend Menschen allein in Paris, wo unter der Ausrede, daß keine Stadt mehr Reiche berge als diese, für die Elenden nicht die mindeste Vorsorge getroffen worden war.
Kein Brot mehr, kein Holz mehr, um Brot zu backen.
Die Stadt hatte ihre Wintervorräte binnen Monatsfrist verschlungen. Kluger Voraussicht unfähig, zeigte sich der Vorsteher der Kaufmannschaft außerstande, verfügbare zweihunderttau-send Klafter Holz aus dem Umkreis in die Hauptstadt befördern zu lassen. Seine Entschuldigung, wenn es fror: die Pferde
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