Die Begnadigung
auf'n Markt!« sagte er zu seiner Frau. »Der Chef soll staunen, wenn er wiederkommt!«
Im Untersuchungsgefängnis saß Dr. Barthels in der Zelle Dr. Hansen gegenüber.
»Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind so weit geschritten, daß eine Verdunklungsgefahr nicht mehr besteht«, sagte Barthels amtlich. »Wir können deshalb die Kaution für eine Entlassung bis zum Prozeß von einer Million, die wir ursprünglich hatten fordern müssen, auf zweihunderttausend Mark herabsetzen.«
Hansen lächelte bitter. »Bleiben Sie ruhig bei einer Million. Sie ist genauso unaufbringlich wie zweihunderttausend Mark!«
»Sie haben doch reiche Freunde …«
Hansen sah Dr. Barthels stumm mit geneigtem Kopf an. Der Oberstaatsanwalt verstand diesen wortlosen Blick und erhob sich.
»Möglich ist es ja«, sagte er heiser. »Wenn Sie entlassen werden, werden Sie bis zum Prozeßbeginn und dessen Ausgang keinerlei ärztliche Tätigkeit mehr ausüben dürfen. Ich kann Sie dazu nicht zwingen, denn es besteht ja kein Berufsverbot für Sie … aber für das Gericht ist es besser, wenn Sie sich von allen Behandlungen zurückhalten.«
»Als stiller Büßer, nicht wahr?«
»Ich sagte Ihnen, es ist besser! Schließlich kenne ich die Akten …«
Die schwere Zellentür fiel hinter Dr. Barthels ins Schloß. Verwundert saß Hansen auf seinem Bett. Er fand keine Erklärung für die letzten Worte des Oberstaatsanwaltes.
Nach siebzehn Wochen Haft wurde Dr. Hansen freigelassen. An einem sonnigen Septembertag. Er begriff es nicht, als sein Anwalt die Nachricht überbrachte.
Die Kaution von zweihunderttausend Mark war eingezahlt worden.
Es war das gesamte Vermögen der Familie Kieling. Schwager Hugo hatte es zur Staatsanwaltschaft getragen. Karin wußte nichts davon … sie fiel in einen Weinkrampf, als ihre Schwester anrief und sagte: »Morgen kommt Jens nach Hause …«
Was Rechtsanwalt Dr. Kieling bewogen hatte, sein ganzes Vermögen für den Außenseiterschwager als Bürge zu geben, wird nie geklärt werden können. Man wußte nur eines: Am Tage zuvor hatte Kieling eine Todesanzeige erhalten. In Heidelberg war Martha Bonnhoff, geborene Kieling, gestorben. Die jüngste Schwester, von allen Geschwistern geliebt. Sie war an einem Magenkarzinom gestorben, das niemand mehr operieren oder behandeln konnte.
»Wer hat die Kaution hinterlegt? Hugo Kieling?« Dr. Hansen packte seine wenigen Dinge, die er in die Untersuchungshaft mitgenommen hatte, zusammen. Vor allem war es ein Stapel eng beschriebenen Papiers. Die Wochen der Ruhe hatte er ausgenutzt und ein umfangreiches Werk über die interne Krebstherapie zu schreiben begonnen. Aus den Jahren interner Krebsbehandlung war ein Erfahrungsbericht entstanden, der eine neue Sicht auf das gesamte Karzinomproblem aufstieß.
»Kennen Sie Hugo Kieling?« fragte Hansen seinen Anwalt, der ihn abholte.
»Nein.«
»Eben! Darum verstehen Sie meine tiefe Verwunderung nicht. Für meinen Schwager bin ich ein idealistischer Idiot. Der Einsatz von zweihunderttausend Mark ist zwar kein Risiko, denn ich laufe ja nicht weg … aber daß er es überhaupt getan hat, ist eines jener Rätsel, die man nie begreifen wird.«
Nach den Formalitäten der Entlassung fuhr der Anwalt nicht zur Ausfallstraße nach Plön, sondern in westlicher Richtung. Dr. Hansen blickte verwundert aus dem Fenster.
»Wo geht denn die Reise hin?«
»Dachten Sie, nach Plön?«
»Allerdings …«
»Die ›See-Klinik‹ steht leer. Wir fahren in Ihr altes Haus …«
»In die Heide …« Hansen lehnte sich weit im Sitz zurück und schloß die Augen. Birkenwälder, Wacholder, die violette Heide, die lautlos wie in den Himmel hineinziehende Schnuckenherde, die an die Erde geduckten Katen mit ihren breiten Dächern, das Schweigen der Weite … »Weiß meine Frau, daß ich heute entlassen wurde?« fragte er leise.
»Natürlich.«
»Auch die Stunde?«
»N … ein …«, sagte der Anwalt zögernd. Er ahnte, was nach diesem Nein kommen würde. Hansen legte die Hand auf den Arm des Anwaltes.
»Machen wir einen Bogen, ja? Es sind nur drei Stunden Unterschied. Fahren wir über Plön …«
»Ist es nicht besser, Herr Hansen, wenn wir …«
»Nein. Können Sie das nicht verstehen?«
Der Anwalt nickte. Am nächsten Seitenweg bog er ab, durchfuhr einige einsame Dörfer und kam dann auf die Chaussee nach Plön. Mit großer Geschwindigkeit rasten sie dem See entgegen. Hansen starrte aus dem Fenster in die sonnenüberflutete Landschaft. Nur vier
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