Die beste Lage: Roman (German Edition)
geringsten Bauchansatz – wobei man allerdings einräumen muss, dass ihm seine Hagerkeit in letzter Zeit ein ungesundes Aussehen verlieh –, hatte es Riccardo in seiner Eigenschaft als Inhaber einer Forschungsstelle an der Universität nicht an Gelegenheiten gefehlt, dieses Thema in Zusammenarbeit mit einigen der verdienstvollsten und willigsten seiner Studentinnen zu vertiefen. Aber während ihm diese Eskapaden letztlich kaum Befriedigung verschafft, ja, ihm sogar eher Ärger eingebracht hatten – so hatte er die zum Glück nur verbale Aggression des Verlobten einer dieser Damen über sich ergehen lassen müssen, und eine andere hatte während seiner Vorlesungen monatelang nur geflennt – und er, total zerknirscht, jedes Mal in den Schoß der Ehe zurückgekehrt war, versetzte ihm seine Frau nun diesen Tiefschlag, den er anfänglich noch als eine Art Strafe interpretiert hatte.
In Wirklichkeit hatte Eleonora nie etwas bemerkt, weil ihr diese Rivalinnen, an deren Namen Riccardo sich schon nach ein paar Jahren kaum noch erinnern konnte, nie etwas weggenommen hatten. Mit einer einzigen Ausnahme.
Chatryn Wallitriny. Und um die Wahrheit gleich vorwegzunehmen: Bei ihr hatte es sich weder um eine Studentin noch um ein blühendes junges Ding gehandelt.
Amerikanerin war sie, genauer gesagt, New Yorkerin, und in die Basilikata gekommen, um Edward C. Banfields Theorien über den »amoralischen Familismus« zu verifizieren. Riccardo hatte sie an die Orte begleitet, wo der Ethnologe fünfzig Jahre zuvor seine Theorie entwickelt hatte, und zwischen den beiden war eine Leidenschaft entbrannt.
Sosehr Riccardo auch darüber fluchte, dass das Schicksal ausgerechnet ihm eine Ehefrau wie Eleonora beschert hatte, so versuchte er – zumal seine Eifersucht im Augenblick keinen konkreten Anhaltspunkt fand – doch, sich mit dem Gedanken zu trösten, dass er es auch schlechter hätte treffen können. Wie zum Beispiel Carlo, der während der berühmten Amerikareise seine Frau in der Toilette eines Motels dabei ertappt hatte, wie sie seinem Busenfreund Marcello gerade einen blies. Und so hielt er sich bewusst an den Rat der klugen Kolumnistinnen, die den besorgten Ehemännern einhellig empfahlen: »Aussitzen! Es handelt sich nur um eine Übergangsphase« – in der Hoffnung, dass diese verdammte Phase wirklich früher oder später enden würde, wie es irgendwann einmal auch den Anschein gehabt hatte.
Ein neues Drama
Schon zwei Jahre zuvor hatte es nämlich so ausgesehen, als hätte Eleonora vom Theater und den Provinzschauspielern die Nase voll und würde auf Dauer nach Hause zurückkehren. Leider merkte Riccardo schon bald, dass sie ihre Zeit lieber am Schreibtisch als mit den Kindern verbrachte. Es ging um ein Drama – ursprünglich fürs Theater gedacht –, das sich in kürzester Zeit zu einem »Drama« in jeder Hinsicht entwickelte und mit seinem durchschlagenden Erfolg ihrer Ehe den endgültigen Gnadenstoß versetzen sollte.
Eine Geschichte von Liebe und Briganten , wie der Titel des Schauspiels lautete, bei dem Eleonora darüber hinaus für Regie und Produktion verantwortlich zeichnete, war eine romantische antisavoyardische Neuinterpretation der Geschichte des süditalienischen Brigantenwesens als einer berechtigten Rebellion gegen die Übergriffe des Stärkeren. Außer den Spielereien mit Licht und Wasser, den Spezialeffekten, den Reiterauftritten, den großen Massenszenen, den Musikeinlagen und den hinreißenden Choreografien, die aus dem Stück ein perfektes Spektakel machten, verdankte es seinen sensationellen Erfolg vor allem der Grazie der jungen Schauspieler und Schauspielerinnen – hauptsächlich aber der Schauspieler –, die Eleonora in einem genialen Marketing-Coup aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Film- und Fernsehstars ausgewählt hatte, um insbesondere das Interesse des weiblichen Publikums zu erregen, das dank seiner speziellen Mundpropaganda letzten Endes über den Erfolg einer jeden künstlerischen Produktion entscheidet, während Männer ja meist der bestens bekannten Masse unsensibler Primitivlinge zuzurechnen sind.
Dieser Erfolg zog ein so schwindelerregendes Merchandising nach sich, dass sich die Gegend in kürzester Zeit mit Verkaufsstellen für brigantenrelevanten Ramsch jeder Art überzog – Briganten-Tabakpfeifen, Briganten-Capes, Briganten-Hemden, Briganten-Hüte, Briganten-Dolche, Briganten-Feldflaschen, Briganten-Satteltaschen, Briganten-Terrakottafigürchen, Briganten-Teller,
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