Die Bestimmung - Letzte Entscheidung: Band 3 (German Edition)
Beobachtungsfenster vor Uriahs Zimmer. Evelyn ist schon dort – Amar hat sie vor einigen Tagen auf meine Bitte hin abgeholt. Sie versucht, mich an der Schulter zu berühren, aber ich weiche aus, weil ich nicht getröstet werden will.
In dem Zimmer stehen Zeke und Hana zu beiden Seiten von Uriah. Hana umklammert eine Hand, Zeke die andere. Ein Arzt steht in der Nähe des Herzmonitors und hält ein Klemmbrett ausgestreckt – aber nicht für Hana oder Zeke, sondern für David. Der in seinem Rollstuhl sitzt. Vornübergebeugt und benommen wie alle anderen, die ihre Erinnerungen verloren haben.
» Was tut er hier? « Ich habe das Gefühl, als stünden meine Muskeln und Knochen und Nerven in Flammen.
» Technisch gesehen ist er immer noch der Chef des Amts, zumindest bis sie ihn ersetzen « , sagt Cara hinter mir. » Tobias, er erinnert sich an nichts. Der Mann, den du gekannt hast, existiert nicht mehr; er ist so gut wie tot. Dieser Mann erinnert sich nicht daran, Tris getötet … «
» Halt den Mund! « , blaffe ich sie an. David unterschreibt auf dem Klemmbrett, dreht sich um und rollt zur Tür. Sie öffnet sich, und ich kann mich nicht bremsen – ich stürze mich auf ihn, und nur Evelyns drahtige Gestalt hindert mich daran, die Hände um seine Kehle zu legen. Er wirft mir einen seltsamen Blick zu und rollt den Flur hinunter, während ich mich gegen den Arm meiner Mutter werfe, der meine Schultern mit eisernem Griff festhält.
» Tobias « , sagt sie. » Beruhige. Dich. «
» Warum hat ihn keiner eingesperrt? « , frage ich scharf. Meine Augen schwimmen, ich kann kaum etwas sehen.
» Weil er immer noch für die Regierung arbeitet « , antwortet Cara. » Auch wenn sie es als bedauerlichen Unglücksfall eingestuft haben, heißt das nicht, dass sie alle gefeuert hätten. Und die Regierung wird ihn nicht einsperren, nur weil er unter Druck eine Rebellin getötet hat. «
» Eine Rebellin « , wiederhole ich. » Ist das alles, was sie jetzt ist? «
» War « , korrigiert Cara mich sanft. » Und nein, natürlich nicht, aber in den Augen der Regierung verhält es sich so. «
Ich will antworten, aber Christina unterbricht uns. » Leute, es ist so weit. «
In Uriahs Zimmer geben Zeke und Hana sich über Uriah hinweg die Hände. Hanas Lippen bewegen sich, aber ich weiß nicht, was sie sagt – haben die Ferox Gebete für die Sterbenden? Die Altruan reagieren mit Schweigen und Gottesdiensten und nicht mit Worten auf den Tod. Mein Ärger verebbt und ich verliere mich wieder in dumpfer Trauer, diesmal nicht nur um Tris, sondern auch um Uriah, dessen Lächeln sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat. Der Bruder meines Freundes und dann auch mein Freund, wenn auch nicht lange genug, dass sein Humor auf mich abgefärbt hätte. Ganz sicher nicht lange genug.
Das Klemmbrett an den Bauch gedrückt, legt der Arzt einige Schalter um, und die Maschine hört auf, für Uriah zu atmen. Zekes Schultern zittern, und Hana drückt ihm fest die Hand, bis ihre Knöchel weiß werden.
Dann sagt sie etwas und öffnet die Hände. Tritt von Uriahs Leichnam weg und lässt ihn gehen.
Ich wende mich vom Fenster ab. Zuerst gehe ich, dann renne ich, kämpfe mich durch die Flure, achtlos, blind, leer.
56. Kapitel
Am nächsten Tag leihe ich mir kurzerhand einen Truck aus. Alle haben nach ihrem Gedächtnisverlust genug mit sich selbst zu tun, daher versucht niemand, mich aufzuhalten. Ich fahre über die Eisenbahnschienen Richtung Stadt, mein Blick wandert über die Skyline, ohne sie wirklich zu sehen.
Als ich die Felder erreiche, die die Stadt von der Außenwelt trennen, drücke ich aufs Gaspedal. Der Truck zerquetscht sterbendes Gras und Schnee unter seinen Reifen, aber es dauert nicht lange, da rumpelt das Fahrzeug bereits über die gepflasterten Straßen des Altruan-Viertels, ohne dass ich sagen könnte, wie viel Zeit vergangen ist.
Die Straßen sind alle gleich, aber meine Hände und Füße wissen, wo sie hinmüssen, ohne dass ich darüber nachdenken müsste. Ich halte vor einem Haus mit rissigem Pflasterweg davor.
Mein Haus.
Ich gehe durch die Vordertür und die Treppe hinauf, immer noch mit diesem dumpfen Gefühl, als würde ich weit entfernt von der Welt durchs Nichts schweben. Menschen sprechen über den Schmerz der Trauer, aber ich weiß nicht, was sie meinen. Für mich ist Trauer eine vernichtende Taubheit, die jedes Gefühl abtötet.
Ich presse die Handfläche auf die Abdeckung des Spiegels, um sie beiseitezuschieben. Obwohl das
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