Die Betrogenen
ihrem Vornamenerkundigt oder ihn nicht behalten, falls Bittner ihn erwähnt hatte. Im Branchenbuch war er auf die Galerie Bittner-Kraus gestoßen, in der Füllmaurerstraße 33 in Kreuzberg. Der Vater selbst mußte gar nicht bemüht werden, das Sondieren des familiären Umkreises gehörte zu den natürlichen Aufgaben des Biographen; da wollte Karl ihn weder behelligen noch sich zu sehr in die Karten blicken lassen.
In welcher Rolle er bei der Tochter vorsprechen sollte, war ihm lange nicht klar gewesen. Auch hier wollte er sich nicht zu früh in die Karten blicken lassen und etwa als Vater-Verehrer die Tür gewiesen bekommen, bevor er seine Fußspitze dazwischen geklemmt hätte. Sie mußte es schon öfter erlebt haben, daß Bittner-Jünger sich an sie heranwanzten in der Hoffnung, es springe ein Kontakt zum Meister heraus; ein paar dieser Jünger dürften von jener Tochter ja schon vor Karl erfahren haben.
Der Plan, zu dem er sich entschloß, hatte den Vorteil, daß er nah bei der Wahrheit lag. Karl hatte seit längerem kleine Beiträge in
Ars Vitalis
veröffentlicht, das in Künstlerkreisen einen gewissen Ruf genoß; Kopien dieser Artikel schickte er an die Galerie mit der auf einem Kärtchen beigelegten Bitte um einen Besuchstermin. Er plane einen größeren Essay über die Kunstszene Berlins, dabei dürften Bittner-Kraus auf keinen Fall fehlen.
Weil die Antwort ausblieb, rief er eine Woche später an.Eine Männerstimme meldete sich, doch bevor sich ein Klecks der Enttäuschung in ihm ausbreiten konnte, zog Karl aus der Sprachfärbung den wahrscheinlichen Schluß. Es war kein neuer Lebensgefährte, der abgehoben hatte, es war ein polnischer Handwerker, der den zwei Damen wahrscheinlich schwarz allerhand Installationen montierte und sogar mit dem Telephondienst aushalf. Unter starkem Räuspern versprach er, eine Notiz zu hinterlegen.
Als Karl am nächsten Abend von der Agentur nach Hause kam, blinkte das rote Lichtchen des Anrufbeantworters. Eine helle Frauenstimme schlug ein Treffen an diesem Freitag vor, gegen 19 Uhr, man freue sich auf seinen Besuch.
In letzter Minute hatte er sich für das weniger formelle Jackett entschieden. Als er im Taxi saß, fiel ihm zwar die Hausnummer, aber nicht mehr der Straßenname ein. Der Zettel steckte in der Innentasche des schwarzen Jacketts. Typisch, dachte er, als er zum zweiten Mal die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte und in das mit laufendem Motor wartende Taxi stieg – das war der Maurer im Namen, der es verdorben hatte.
Beim Aussteigen merkte er, wie sich die Flüssigkeit in seinem Mund fluchtartig zurückzog. Es war eine Weile her, seit er das letzte Mal zu einem Rendezvous angetreten war, wenn er das Wort hier vorschnell riskieren durfte.
Aber jetzt ließ sich alles noch besser an, als er zu hoffengewagt hatte. Nora führte ihn in ein gedämpft erleuchtetes Wohnzimmer, und Karl sah sich unauffällig um. Oft waren die Kinder großer Künstler von Schönheitssinn ganz unbeleckt, da gab es keine Garantien; von diesem Streich der Natur war Nora aber offenbar verschont geblieben. Karl musterte die in Rottönen gehaltenen Kelims, einen Jugendstilleuchter und das große Bücherregal, das die ganze Wand einnahm. Ach ja, und hier die Flegel-Tulpe, auf schwarzem Grund als Ausstellungsplakat … ganz die Tochter! Auch Bittner hatte von jeher für Flegel geschwärmt.
«Kirschholz?» Karl deutete auf die von oben indirekt beleuchtete Bibliothek.
Nein, das war Lärche. Die habe ihnen Woytek gebaut, ihr Handwerker. Wenn man sich das offiziell schreinern ließe, wäre man ja ruiniert, aber Billy sollte es dann eben auch nicht sein.
Die grün gebundene Werkausgabe nahm einen prominenten Platz auf Brusthöhe ein, gerahmt von Sonderdrucken und seltenen Ausgaben. Karl erkannte den vergriffenen Band über
Die Göttliche Komödie
, schmal und mit abgewetztem Rücken; die musikologischen Schriften, daneben die Fragment gebliebene Barockstudie, die Karl schon eine Spur preziös gefunden hatte, und die frühe Romantrilogie, für deren Erstausgabe Sammler bis zu 250 Mark bezahlten; Karl besaß sie doppelt, jeweils signiert.Bienenemsig war Bittner ja immer gewesen, das war bei Autoren seiner Generation, die noch den Krieg erlebt hatten, verbreitet. Bei den jüngeren mußte nicht immer ein Manuskript als Notgroschen in der Schublade liegen, die hatten andere Sorgen und eine laxere Arbeitsmoral.
Nora hatte seinen Blick bemerkt. «Ja, hier steht alles mit Bittner voll», sagte sie
Weitere Kostenlose Bücher