Die Betrogenen
ihnen einen Tisch am Fenster anwies, keines Seitenblicks gewürdigt; nie hätte man Paolo beim stillen Komplettieren seiner Kundendatei ertappt.
Als sie sich gesetzt und die gestärkten weißen Serviettenkegel entfaltet hatten, sah Nora sich amüsiert um. Ob die Künstlerin vielleicht eine reiche Kundin war? Allein das Glas! Sie deutete auf eine rauchende Frau im Halbprofil, die ein Weinglas hielt. Und dann diese Finger! Wie sich zeigen sollte, war ihr milder Spott über Paolos Wanddekoration auch fast das einzige, das ins Fachliche fiel. Man kannte es – wie so oft, wenn es ein offiziell verschriebenesGesprächsthema gab, wurde gerade dieses Thema nur gestreift, es war die Notration, die man sich trocken hielt; statt dessen glitt man auf andere Felder, auf denen man sich überraschend lange tummelte.
Zumindest nach seiner Mitarbeit für
Ars Vitalis
hatte sie sich erkundigt, die kopierten Artikel hatten ihren Eindruck nicht verfehlt. Und er plane also etwas Größeres über die Berliner Szene? Etliche Veränderungen stünden ins Haus, ein freundlicher Artikel über Bittner-Kraus könne nicht schaden, es komme allerhand auf sie zu. In der Finanzwelt bestach man die Journalisten ganz einfach, da wurden von der Consulting-Firma tausend Abos der Zeitschrift bestellt, und schon verschwanden die gehässigen Artikel gegen sie. Auf dem Kunstmarkt war das zum Glück anders, obwohl … Auch da gab es mehr Durchstechereien, als man es sich von außen vorstellte. Fast schon mafios, auf seine Art. Ohne das Netzwerk kam man erst gar nicht auf den Index –
Den Index?
So hieß das Faltblatt, das die angeblich besten Galerien auflistete, und wer nicht auf dem Index vertreten war, der schaffte es nicht auf die Messe nach Basel; das war ein ganz schöner Filz.
Viel mehr über die Berliner Galerien hatte Karl am Ende auch nicht erfahren – als wäre es dann darauf noch angekommen.
Und war sie nun eine reiche Kundin, die Malerin? Nora drehte sich noch einmal nach dem Ölbild um und zeigte Karl ihren schlanken Hals. Ihr Profil mit der hohen Stirn erinnerte ihn an die Frau des warzigen Montefeltro aus dem Doppelportrait in seinem Schlafzimmer. Ihre Lippen schimmerten. Die grünen Einsprengsel in den braunen Augen mußte sie von der Mutter haben. Ein bißchen ähnelte sie auch der bezaubernden Jeannie, in die sich Karl schon als Kind verliebt hatte. Er sah sie noch vor sich, in ihren rosafarbenen Pluderhosen, wie sie die Ellbogen verschränkte und dreimal mit den Augen zwinkerte, bevor sie einen Wunsch ihres Meisters erfüllte –
Pling
.
Ja, vielleicht war sie wirklich eine Kundin, antwortete er, oder Paolo hatte einfach keinen Geschmack.
Nora wunderte sich – das war doch sonst alles ganz schön und großzügig hier, mit diesen Liliensträußen und den Limonenhügeln? Auch die Oliven waren auffällig gut – sie hatte sich schon zwei genommen und die öligen Fingerspitzen abgeleckt.
Schon, aber mit Paolo, das sei eine ganz eigene Geschichte. Karl schüttelte den Kopf, er konnte es noch immer nicht ganz fassen. Falls es Nora interessiere – dieser Paolo, das war sein Stammitaliener, venezianische Küche, seit Jahren ging er hier regelmäßig essen. Davor war Paolo Küchenchef im
Ferrara
gewesen, dann hatte er sein eigenes Lokal aufgebaut, sogar Römer hatte Karl hier schonausgeführt, und sie hatten die Pasta gelobt. Aber Paolo war mehr als nur ein Gastronom, er wußte über Wohl und Wehe seiner Gäste Bescheid, ein guter Menschenkenner auch, der gerne mit Rat aushalf. Und zwar Rat in allen Belangen. Fast peinlich zuzugeben – Karl schaute prüfend, ob Nora ihm noch zuhörte –, aber bei der letzten Bundestagswahl, bei der er bis zuletzt unschlüssig gewesen war, da hatte er auf dem Weg zum Wahllokal noch bei Paolo reingeschaut und …
Der Zeitungsmann war vor ihrem Tisch stehengeblieben, es war die Nervensäge, die nur in Reimen sprach. Aber heute hatte Karl keinen Bedarf.
Bei der Wahl also, da hatte Paolo ihm eine Empfehlung gegeben, und die hatte Karl in der Kabine dann auch noch befolgt. Auf der andern Seite: die Musik, die gerade in seinem CD-Player lief, die verdanke Paolo ihm.
Aus dem Hintergrund des Lokals hörte man
Nessun dorma
.
Wieso das? Hatte Karl ihn beraten? Nora nahm sich noch eine Olive und lutschte daran.
Nein, Karl hatte ihm gleich am Anfang einen Stoß Klassik-CDs als Dauerleihgabe hinterlassen, als Morgengabe gewissermaßen, dadurch konnte er beim Essen seinen eigenen Puccini hören statt des
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