Die Betrogenen
ewigen Pavarotti mit neapolitanischen Volksliedern, darunter
O Sole mio
, die einzige Platte, die Paolo sonst auflegte und besaß.
Das war aber nett von Karl! War er so vertrauensvoll? Und wenn er die CDs einmal wieder zurückhaben wollte?
Also, dieser Paolo war fast schon Teil der Familie, wenn man in seinem Fall davon reden konnte, und dann – Karl unterbrach sich, als der Kellner zwei Teller mit Carpaccio und Pfifferlingen brachte.
Und dann hatte er letzte Woche von einem Bekannten die wahre Geschichte erfahren. Von wegen Venedig, Paolo war in Wirklichkeit Albaner und hieß Jonny. Und von wegen Küchenchef, Tellerwäscher war er gewesen, und das
Ferrara
hatte er nie von innen gesehen. Die ganze Geschichte war frei erfunden, der angebliche Bruder in Österreich, den er alle paar Wochen besuchte, das waren Frau und Kinder in irgendeinem albanischen Kaff. Jahrelang hatte er seine Kunden mit der falschen Biographie hereingelegt, dabei immer den italienischen Patrioten gegeben, und alle hatten sie ihm geglaubt.
Nora nahm einen Schluck Wein aus ihrem viel zu großen Glas – daß Paolo diese Ballons noch immer für etwas Vornehmes hielt. Ihr Lippenstift hinterließ eine schmale rote Sichel auf dem Rand.
«Und das Beste ist, man hätte es merken können!» Karl spürte, daß ihr Restaurantchef nicht zum Thema des Abends werden sollte, aber jetzt war sein Schiffchen in See gestochen und nicht mehr so schnell aufzuhalten. – Wieso waren die Kellner hier alle Kroaten oder aus dem Kosovo?Warum brach Paolo alle Versuche, mit ihm ein paar Brocken Italienisch zu wechseln, nach einem Satz ab? Außer
Eccola, Signore Carlo!
war nichts aus ihm herauszuholen. Selbst das schwankende Niveau seiner Weinkarte erklärte sich im nachhinein; was wollte ein Moslem schon viel von Wein verstehen? Dieser Primitivo immerhin war genießbar.
«Ja, gerne.» Der Kellner war mit der Pfeffermühle erschienen, übergroß wie die Rotweingläser.
Karl senkte die Stimme. Aber daran sah man es eben wieder. So untypisch war der Fall nämlich nicht. Wenn man nur einmal von einer falschen Voraussetzung ausging, dann war man verloren. Dann war man blind für alles, was nicht zur Prämisse paßte, und legte und bog sich alles in ihrem Sinn zurecht. Einmal die Zirkelspitze falsch gesetzt …
Aber Karl merkte an Noras Blick, daß sie gedanklich abgeschweift war.
«Komisch», sagte sie, während sie mit einem Stück Ciabatta ihren Teller auswischte. Was Karl da erzähle, das erinnere sie an etwas, das auch erst kürzlich herausgekommen sei. Von Woytek, dem erwähnten Polen, der ihr und Bea die Bücherregale gebaut hatte. Der steckte ständig in Geldproblemen, was an sich nicht verwunderlich war, er war zweifach geschieden. Vor kurzem wollten sie ihm sogar etwas leihen, aber da hatte ihnen ein anderer Pole, derihn von früher her kannte, ein Licht aufgesteckt. Es sei keine gute Idee, Woytek Bargeld zu geben. Und zu ihrem bassen Erstaunen – konnte man das sagen? – erfuhren sie von Woyteks Doppelleben.
Noras Nasenspitze zuckte für einen Moment zur Seite.
Kaum hatte man ihn irgendwo ausbezahlt, ging er ins Casino und verließ es erst, wenn er die letzte Mark verspielt hatte. In den Berliner Spielbanken hatte er inzwischen Hausverbot, da hingen im Entrée Photos von ihm, das hatte die Exfrau arrangiert, aber es gab wohl noch ein paar Klitschen in Brandenburg. Trotzdem, auch Bea fand, daß sie nicht auf ihn verzichten konnten, nur zahlten sie ihn möglichst à jour, damit die Versuchung nicht zu groß wurde.
Da, schon wieder! Sie hatte schon wieder fast schnippisch mit der Nasenspitze gezuckt, als ziehe ein unsichtbarer Faden an ihr. Welche Muskeln standen ihr dabei zu Gebote? Verscheuchte sie geheime Gedanken damit? Ihr Lippenstift war inzwischen verwischt. Auf der Höhe des Schlüsselbeins hatte sie einen großen Schönheitsfleck, wie Karl durch ihr transparentes Oberteil erkennen konnte, das am Hals reizvoll gesäumt war. An irgend etwas erinnerte ihn dieser Saum. Ein ähnliches Oberteil hatte er einmal Carmen geschenkt.
Ob dieser Woytek den Damen auch außerhalb des Galeriebetriebs gelegentlich zu Diensten war? Karl griff nachder Weinflasche, die der Kellner mit der Puttanesca gebracht hatte, und studierte das Etikett. Auf diesen Etiketten gab es immer Tippfehler, man mußte nur suchen. Das war wie bei Speisekarten; keine einzige war fehlerfrei. Der schönste Verschreiber, den er einmal auf einer französischen Flasche gefunden hatte – Karl
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