Die Betrogenen
und streichelte die helle Katze, die vom Fensterbrett gesprungen war und sich schnurrend an ihr Bein schmiegte. «Diese Väter sind ja immer sehr präsent.» Sie wies mit dem Kinn in Richtung eines farbigen abstrakten Gemäldes, das in der Stirnseite des Raums über einer Biedermeier-Kommode hing.
Klang da etwas leicht Abschätziges mit? Karl hatte es fast geahnt, aber es kam seinen Plänen entgegen. Der Vater war als Thema gefährliches Terrain, das würde er hübsch zu meiden wissen. Schließlich mußte er sich nach der Galerie und ihren Künstlern erkundigen; ein Artikel wollte geschrieben sein.
Die Katze hatte Karl entdeckt und strich an seinem Bein entlang. Immerhin war er ihr nicht unsympathisch, sie hätte fauchen können, was andernorts als bedenkliches Signal gedeutet worden wäre. Sie zu kraulen wagte er dennoch nicht, man sollte sein Glück nicht strapazieren. In dem großen französischen Spiegel mit abblätterndem Goldlack sah er, daß die zwei Flügelchen seines Hemdkragens abstanden, er hatte vergessen, sie zuzuknöpfen. Daswar schnell nachzuholen, Nora war gerade aus dem Zimmer gegangen. Beim zweiten riß ihm das Knöpfchen ab und fiel unters Sofa. Die Katze spitzte die Ohren und starrte in den dunklen Spalt.
Von nebenan hörte er ein lautes Plopp. Nora kam mit einer betauten Flasche Weißwein zurück. Als sie ihm ein Glas einschenkte, bemerkte Karl ihren ungewöhnlich wohlduftenden Atem. Aus der offen stehenden Tür zum Nebenzimmer hörte er eine Frauenstimme lachen. «Bea hat eines ihrer Endlostelephonate. Ich fürchte, Sie müssen heute mit mir vorliebnehmen», erklärte Nora und kräuselte ihre Nase. Um so besser – so hatte sich eine seiner Sorgen von selbst erledigt. Karl stellte sein Glas auf dem Tablettwagen ab und räusperte sich.
«Darf ich Sie dann vielleicht zum Essen einladen, auf Kosten der Redaktion? Da können wir uns in Ruhe unterhalten, und Sie erzählen mir alles über die Galerie. Ich habe gehört, Sie arbeiten auch mit der Schweiz zusammen?»
Nora zögerte nur kurz. Na, wenn er meinte … Warum nicht? «Aber schauen Sie sich doch noch ein bißchen im Flur um, was da an den Wänden hängt, sind Arbeiten unserer Lieblingskünstlerin. Ich verschwinde nur mal kurz.»
Natürlich, in der Welt der Kunst mußte jeder Wisch eine «Arbeit» sein. Je weniger zu erkennen war, was der Konzeptionsquark sollte, desto zwingender war es, daß er Arbeit hieß.
Karl betrachtete die Reihe der durch kleine Strahler beleuchteten Zeichnungen. Da zogen dunkle Wolken über einer Hügellandschaft dahin, der Titel war «Kippfigur» – erst jetzt erkannte er in der Landschaft den Umriß einer liegenden Frau. Nicht unelegant, auf den zweiten Blick.
Gleich darauf kam Nora zurück. Sie hatte einen rostroten Lippenstift aufgetragen und war dabei, in ihre Jacke zu schlüpfen, als eine Schwarzhaarige mit randloser Brille aus dem Nebenzimmer kam und Karl mit breitem Lächeln begrüßte. Das Telephonat war offenbar doch kürzer gewesen und die Lage wieder unübersichtlich. Karl konnte schlecht nur Nora einladen und ihre Kollegin nicht.
Aber heute stand Venus ihm günstig. Sie habe überhört, was die beiden gerade geredet hätten, erklärte die Schwarzhaarige, sie sollten ruhig ohne sie Dinner haben, ein bißchen extra Zeit könne sie gut gebrauchen. War das okay für sie? Und mit einem Achselzucken, das Karl an irgend etwas erinnerte, verabschiedete sie sich und verschwand wieder in ihrem Zimmer, in dem sich ein Kleiderstapel auf dem Boden türmte.
Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, daß man in einer Stadt wie Berlin bei Hinund Rückfahrt auf denselben Taxifahrer traf? Er musterte die neue Begleitung des alten Passagiers im Rückspiegel, als er sie zu dem neben Karls Wohnung gelegenen Lokal fuhr, das sie mit einladend roten Schriftzügen der Obhut
Paolos
empfahl.
Puttanesca bei Paolo
«Signore Carlo!»
Vor der Glastür des Eingangs stand Paolo in der dunkelroten Schürze, die seinen Namenszug trug, begrüßte Karl mit einem kräftigen Händedruck und ließ seine weißen Zähne aufblitzen. Ein Tisch für zwei Personen? «Sehr gerrne.»
Er sehe ein bißchen aus wie Mussolini, nur feminin abgemildert, fand Nora später, die das scharfe Auge des Vaters geerbt zu haben schien, und Karl, dem es nie aufgefallen war, gab ihr recht; nicht nur die dunkel blitzenden Augen, auch die Schädelform und das Kinn, wenn auch ins Weiche modelliert und mit weniger Unterbiß. Karls unverhofften Anhang hatte er, als er
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