Die Betrogenen
Hatte er doch noch einen Quietscher nachkommen lassen – ein Ausdruck, der einmal Seyfried über die Lippen geschlüpft war? Es dauerte einen Moment, bis Karl begriff. Das war keine Freundin. Es war eine Professionelle. Natürlich, warum sollte es die nicht auch in der Provinz geben?
«Jetzt erzähl mir etwas aus deinem Leben», sagte Bittner gerade mit dunkelsamtiger Stimme zu ihr, die eng neben ihm auf der Lederbank saß. Würde er wirklich, vor allen Leuten? Eine Frage für sich war, ob die Hotelleitung solche auf Beutezug streifenden Amazonen übersah oder billigend in Kauf nahm, schließlich war es ein Serviceelement mehr, das ihr dadurch in den Schoß fiel; oder ob sie grimmig, aber mit gebundenen Händen zusehen mußte, wie ihr Ruf unter ihnen litt.
Den weiteren Fortgang konnte Karl nicht beobachten, weil er im Nebenraum bei einer Gruppe japanischer Grabbe-Forscher die Honneurs machen mußte. Als die Runde sich endlich aufgelöst hatte und alles zurück in die Zimmer strebte, war die Hotelbar verwaist; nur der freundliche Marokkaner spülte noch letzte Pilsgläser.
Am nächsten Morgen holte Karl sich einen Tee aus dem Frühstücksraum und gesellte sich zu Seyfried, der mit verquollenem Gesicht in der Lobby saß und rauchte. Karl hatte ihn am Abend in der Hotelbar mit Bittner im Gespräch gesehen; vielleicht konnte er seine Neugier stillen, wie es mit der Blonden weitergegangen war?
Und Karl hatte Glück; Seyfried war Zeuge der Anbandelung gewesen und stand für Auskünfte bereit.
Also, wie hatte das Ganze angefangen?
Seyfried hustete kurz und berichtete. Er war gerade mitBittner auf dem Ledersofa in einem ernsten Gespräch begriffen, es ging um Tod und Unsterblichkeit. Bittner hatte etwas von einer Zeitblase erzählt, die sich in der Sterbesekunde aufblähe und nie platze, Seyfried hatte noch nie davon gehört. Dann hatte die Blonde die Bar betreten, und das hatte ihrem Gespräch den
sudden death
bereitet.
Seit wann interessiert sich Seyfried für Fußballregeln?, fragte sich Karl.
Kaum hatte sie sich aufs Nachbarsofa gekuschelt und einen Gin Tonic geordert, fuhr Seyfried fort, hatte sie damit begonnen, ihre Blickpfeile abzuschießen. Kein Mann war ihren Avancen entkommen, nicht einmal Cornelius, der mit einem Bier an der Theke stand, und selbst er nicht, der sich schließlich genötigt gesehen hatte, seine Unzuständigkeit auf diesem Feld zu bekennen.
Und Bittner also?
Der hatte den Nahkontakt wenn nicht gesucht, so doch gewähren lassen.
Und was war dann passiert?
Ja, jetzt mußte Seyfried leider passen. Die weitere Entwicklung hatte nämlich auch er nicht verfolgen können, weil er auf sein Zimmer gegangen war,
odrr
? Wo Seyfried, dachte Karl, weil er über das hoffnungslos heterosexuelle Programm des zahlungspflichtigen Zusatzkanals Bescheid wußte, wohl nicht einmal mehr nach der Fernbedienung gegriffen hatte.
Seyfried schnippte die Asche seiner filterlosen Zigarette auf den Teppichboden. Wahrscheinlich hatte auch er zu dem Gesprenkel von Brandlöchern beigetragen, die den Teppich musterten und an dem die Hotelleitung, wenn sie zu wenig Aschenbecher bereitstellte, nicht ganz unschuldig war.
Karl schlürfte noch an seinem inzwischen kalt gewordenen Tee, als sich die Tür des Fahrstuhls öffnete und ein verwuschelter Blondkopf erschien. Da war sie ja immer noch! Karl pfiff durch die Zähne. Die ganze Nacht also! Das konnte teuer gekommen sein; wie vertrug sich das mit Bittners Geiz?
Seyfried drückte seine Zigarette ordentlich aus und belehrte Karl eines Besseren. Es gab Mischformen, es gab Semi-Professionelle, es mußte nicht heißen, daß ihr Kunde, wer immer es war, nun ruiniert wäre,
odrr
.
Aber Karl wollte es jetzt wissen. Er ließ eine Viertelstunde verstreichen, dann trug er seine leere Tasse zurück in den Frühstücksraum und sah sich unauffällig um. In welcher Begleitung Bittner wohl beim Morgenkaffee saß?
Der denkbar unverfänglichsten:
il presidente
. Mit seiner hohen Stimme – Karl blätterte in Hörweite in einer Zeitung – sagte er Bittner gerade, es sei wie so oft, vorne viel Musik und hinten keine Soldaten. Es ging um eine Neubesetzung des Vorstands.
Am Nachmittag war denn auch Manteuffel im Metropol eingetroffen. Weil seine Frau krank geworden war, hatte er sich wie öfter in letzter Zeit von Woytek chauffieren lassen; einen Führerschein hatte er nicht. Für Woytek waren die Fahrdienste ein willkommenes Zubrot, wer weiß, vielleicht erhoffte er sich auch einen
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