Die Betrogenen
die grausige Schattenwelt im Rücken. Ob Karl Ähnliches kannte? In den Schlaf sank man nicht, sondern stürzte zuckend hinein wie ein verwundetes Tier, in Träume so düsterer Stimmung, daß man noch halbe Tage in ihr entrückt blieb – es war sein inneres Sibirien und eigentliches stilles Grauen.
Bittner drehte sich nach dem Kellner um, den es aus Marokko hierher verschlagen hatte, und bestellte zum Cognac noch ein paar Erdnüßchen.
Erst im Frühjahr war es ihm endlich etwas besser gegangen. Kleinere Reisen hatten geholfen und halfen noch immer – Karl schien es fast, als mied Bittner da seinen Blick. Vor allem aber der Trost seiner zwei Schwestern, ohne den wäre er wohl noch tiefer in den inneren Morast gerutscht. Aber jetzt, schloß Bittner und hob leicht sein Glas, freue er sich, auf gute Freunde zu treffen. Das war der Hauptgrund, daß er angereist sei, denn die Menschen scheue er mehr denn je. Er mußte zweimal hintereinander niesen, Karl wünschte Gesundheit – aber das war keine Erkältung, nur seine Katzenhaarallergie, erklärte Bittner, die sich in letzter Zeit verschlimmert hatte.
Und dann überkam es Karl doch. Als er im Foyer neben Bittner vor der Fahrstuhltür stand, konnte er sich nicht länger zurückhalten. «Wie geht es eigentlich Nora?»
Bittner sah ihn leise verwundert an, wirkte sogar etwas ertappt. «Oh, ausgezeichnet!» Warum frage er? Sie war sehr munter. Auch die Galerie entwickelte sich günstig.
Bevor Karl sich erkundigen konnte, wie sie sich in den Staaten eingelebt habe, öffnete sich die Fahrstuhltür und der Präsident erschien. «Da sind Sie ja wieder!», rief er, als er Bittner sah. «Trinken Sie doch noch einen Tee mit mir. Und täuschen Sie sich nicht», hörte Karl noch seine helle, fast feminine Stimme, bevor er Bittner entführte und die Tür des Fahrstuhls sich hinter Karl schloß. «Der Hagen ist ein furchtbarer Ehrenkäs und nicht ungefährlich dabei.»
Wie immer war die Hotelbar des Metropol, die bis ein Uhr nachts geöffnet blieb, stark frequentiert. Karl stand eine Weile neben dem weißhaarigen Lyriker, der mit schwerer Zunge auf Seyfried einsprach. Ob Seyfried wissen wolle, warum es für die Menschheit besser gewesen wäre, Adam und Eva wären Chinesen gewesen? Sie hätten die Schlange gegessen! Der Lyriker prustete. Ob er wisse, daß Ludendorff auf einen Goldmacher hereingefallen sei? Eines überzeugenden Namens allerdings, er hieß Tausend! Als das Karussell seiner Anekdoten eine volle Runde gedreht hatte und wieder von vorn begann, ging Karl zu Professor Cornelius, der ihn mit in die Hotelhalle zog, wo inzwischen immer mehr Mitglieder eintrafen.
Was sich da nicht alles tummelte, wenn sie zur Preisverleihung angereist kamen! Wer sich die Nase an ihrem Aquarium plattdrückte, dachte Karl nicht zum ersten Mal, bekäme einen schönen Schwarm von Leuchtfischen, Medusen und Muränen zu sehen. An der Rezeption wartete der Preisträger des vergangenen Jahres, ein stark stotternder Sachse, der ab Mitternacht nur noch lallte. Nur wenn er vorlas, legte er die Hemmung ab, da half ihm der sächsische Singsang, den man mit seinem Hebungsund Senkungsgewoge nur auf CD aufnehmen müßte – was er sich nicht einmal scheute zu tun –, um schreiende Säuglinge in Minutenfrist in den Schlaf zu lullen. An der Wand des Foyers stand, die Arme in den Rücken gepreßt und mit einerMiene, als breche er gleich in Tränen aus, die hellblauen Augen waren jedenfalls immer feucht, der weltscheue Autor aus Siebenbürgen, der in seinem Bergdorf seit Jahrzehnten unbeachtet, aber beharrlich Romane schrieb, denen Karl gute Chancen einräumte, auf die Nachwelt zu kommen. Jetzt strich auch noch die Diva vorbei, die Karl einmal erlebt hatte, wie sie vor Zorn mit ihrem zierlichen Stöckelabsatz aufgestampft hatte, als ihr der Tagungsbus vor der Nase weggefahren war – ein weibliches Rumpelstilzchen, wie Karl gefunden hätte, wenn ihr Name nicht allseits bekannt wäre, weil er der berühmte ihres Vaters war, dessen monochrome Bilder sündhaft teuer gehandelt wurden. Karl war wie immer etwas beklommen in Gesellschaft und kratzte sich mit der Hand in der Hosentasche mechanisch den linken Oberschenkel. Nach langen Parties sah es dort am nächsten Morgen aus, als hätte ihn eine Katze gezaust.
Als er wieder die Hotelbar betrat, bot sich ihm eine überraschende Szenerie. Saß da doch neben Bittner auf dem Lederbänkchen ein unerhört blondes, leicht beschwipstes Gift, wie man früher gesagt hätte.
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