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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Maar
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die seit jüngstem die Schlüssel mit den glockenartigen Anhängern ersetzten, auf denen die jeweilige Zimmernummer eingeprägt war. Das Kärtchen erhöhte die Fehlerund Verwechslungsquote, weil es keine Nummer aufwies und sich oft unwillkürlich entlud. Die gläserne Pupille in der Zimmertür verfärbte sich dann nicht grün, wenn Karl die Karte in den Schlitz steckte, sondern starrte drohend und unverdrossen rot, worauf er wieder hinunter zur Rezeption mußte, wo das Kärtchen neugeladen oder ersetzt wurde. Es war das gleiche Rotlicht, das an der Kasse im Supermarkt den Strichcode auf dem Preisetikett abtastete; irgendwann hatte man sich da offenbar auf einen Farbton versteift.
    Die Frau vom Empfang, eine hübsche Asiatin, lächelte ihn abwesend an. Vierte Etage, rechts – danke schön, mit dem Gepäck brauchte er keine Hilfe, das war ja nur ein kleiner Rollkoffer. War denn Herr Bittner schon auf seinemZimmer? Dann könnte sie ihn vielleicht anrufen und ausrichten, Karl wäre in einer halben Stunde in der Hotelbar.
    Karl sah sich in der Lobby um, wo die Sitzgruppen um die flachen Rauchglastische noch ihrer ersten Benutzer harrten. Der Teppichboden changierte unentschlossen zwischen schmutzfarben und türkis. Das gute alte Metropol! Es wäre in Verlegenheit geraten, hätte es seine architektonischen Reize aufzählen sollen – außer seiner günstigen Lage in Bahnhofsnähe hatte es keine zu bieten. Die Klimaanlage surrte, die Fenster ließen sich nicht öffnen, und die empfindlicheren Mitglieder verließen die Tagung selten, ohne sich einen Keim einzufangen. Die lindgrünen Verzehrbons, die zum Konferenzbeginn ausgeteilt wurden, fanden sich in zerkrümelter Halbauflösung noch Wochen später in den Jackettaschen, denn auch die Küche des Metropol war nicht der Rede wert. Nur das Frühstücksbuffet war üppig und würde mit allerlei Gebratenem demnächst wohl auch Bittner in Versuchung führen.
    Im Fahrstuhl spürte Karl, wie leichte Nervosität in ihm hochkroch. In diesem Jahr könnte es auf der Tagung knistern, wie er seit dem Anruf der Wiedenkopf wußte.
    Wie so oft hatte sie ihn spätabends in der Lektüre unterbrochen – ihr gutes Recht, wie sie fand, seit sie ihn unter ihre mütterlichen Fittiche genommen hatte. Ob Karl den unsäglichen Artikel in der Frankfurter Zeitung gesehenhabe? Ob er gehört habe, wie die Hagen gegen sie intrigiere? Dabei war sie auf der letzten Party noch freundlich wie Tulpe! Und wie immer, während er an anderes dachte und beipflichtende Bröckchen einwarf, fragte sich Karl, ob Klageund Lästerlust nicht doch ein weibliches Laster sei; obwohl es auch da Gegenbeispiele gab. Zu widersprechen oder den Gescholtenen zu verteidigen, hütete er sich. Wenn er der Wiedenkopf einmal Paroli bot, was selten genug geschah –
Wie?
rief sie dann halb scharf, halb perplex am Apparat und mußte sich sammeln –, traf noch in derselben Nacht ein betrübtes Fax ein, dessen Klingeln ihn aus dem Schlaf weckte.
    An jenem Abend vor drei Monaten aber hatte sie aus einem anderen Grund angerufen. Ob Karl es schon wüßte? Nein? Sie hatte soeben aus den inneren Zirkeln der Grabbe-Gesellschaft gehört, daß in diesem Jahr der große Preis an – Karl werde nie raten, wen, vergeben würde.
    «An wen denn? Doch nicht etwa an Bittner?» Karl wußte von ihr, wie lange er dafür schon im Gespräch war.
    Nein, an den guten Arthur nun gerade nicht! Die Wiedenkopf lachte glucksend, und ihre Stimme rutschte in ein Kleinmädchen–Falsett. Bittner hätte ihn um ein Haar bekommen, aber dann, sie gluckste wieder – hinter den Kulissen war es hoch her gegangen, auch sie hatte mit zwei, drei Jurymitgliedern telephoniert –, dann war die Entscheidung anders gefallen. Den Preis bekam Moritz Manteuffel.
    Manteuffel! Karl konnte es kaum glauben – sein neuer Nachbar, der sich jetzt auch noch ein Klavier in die Wohnung gestellt hatte, und was für schollernden Klangs! Aber warum nicht? Verdient hatte er den Preis allemal, nicht gerade für den Krimi – Karl hatte sich nie anmerken lassen, daß er das Portrait erkannt hatte –, aber sein Frühwerk war bedeutend; vor allem
Der Kapaun im Garten
und
Dritter Versuch
, in dem sich ein zartes poetisches Herz entblößte, das sein borstiges Äußeres nur allzuoft verdeckte. Und dann auch die Novelle des schillernden Titels
Totenlos
, deren Einfluß sogar bei Bittner zu spüren war. Für den allerdings wäre es ein schwerer Schlag, auch wenn er wohl selbst unter der Marter der

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