Die Betrogenen
Tausend Schnitte nicht zugeben würde, daß ihn der entgangene Preis wurmte. Aber er hätte kein Mensch sein dürfen, um nicht enttäuscht zu sein; wie tief enttäuscht, machte Karl sich erst viel später klar.
Und ab morgen also alle drei in einem Hotel: Bittner, der als Ehrengast eingeladen war und eine Matinée bestreiten sollte, Manteuffel, der den Preis entgegen früherer Ankündigungen sofort angenommen hatte, und die Wiedenkopf als seine neue Agentin – ob das gutgehen würde?
Das Lichtchen wechselte von rot zu grün, und Karl betrat sein Hotelzimmer, wo ihn der Fernseher herzlich willkommen hieß und Herrn Dr. Lorenz einen guten Aufenthalt wünschte – das steuerten sie wohl unten am Empfang. Nachdem er ausgepackt und seine Hemden auf die an ihreKleiderstangen gefesselten Bügel gehängt hatte, die ein skeptisches Menschenbild der Hotelleitung verrieten, fuhr er ins Erdgeschoß in die Piano-Bar, der einzige Ort, an dem das Metropol Anflüge von Charme entfaltete. Der Rauch eines guten Zigarillos lag in der Luft, und richtig, da hinten in einer Nische saß Seyfried, der schweizer Jungdramatiker, schwarz gekleidet und schräg beschienen vom Nachmittagslicht, das die Schwaden geschickt hervorhob. Karl wollte sich zu ihm gesellen, er war lose befreundet mit ihm, doch da betrat schon Bittner die Bar.
Nicht in Damenbegleitung diesmal? Es wäre das erste Mal, aber andererseits … Schon bei zwei früheren Gelegenheiten war Karl aufgefallen, daß Bittners
companions
immer weniger jugendfrisch ausfielen, auch wenn es Mai-Dezember-Affairen blieben, wie es in dem Land hieß, in dem eine reizende Galeristin jetzt schon viel zu lange feststeckte. Die Geliebte, mit der Bittner auf dem Kongreß in Rom aufgetaucht war, hatte selbst schon tief im August gestanden; Karl hatte es mit leichter Befriedigung vermerkt. Und jetzt also ganz allein, es sei denn, sie war noch oben in seinem Zimmer, für das Bittner, wenn er es als Doppelzimmer nutzte, einen kleinen Zuschlag würde erlegen müssen.
Sie ließen sich auf einem dunkelgrünen Ledersofa in einer Nische nieder. Bittner pickte Erdnüßchen aus einem Glas und schien sich, obwohl deutlich gedämpft, zu freuen.Trotz seiner habituellen Bräune und der Sternenaugen hatte auch er den Pfad zum Jungbrunnen nicht entdeckt, dachte Karl, obwohl noch immer ein Strahlen von ihm ausging; oder er hatte ihn entdeckt, aber dieser Pfad war überwuchert, und auf dem Rückweg mußte er sich durch Brombeerhecken kämpfen. À la longue blieben dann Kratzer nicht aus. Was hinter diesen Kratzern steckte, sollte er erst am nächsten Abend erfahren, als Bittner sich ausgerechnet Manteuffel eröffnete. Da schlug dann doch die lange gemeinsame Vergangenheit durch, neuere Zwiste hin und her; kein Grund für Karl, sich übergangen zu sehen.
So sehr es ihn danach drängte – nach seiner Tochter hätte er ihn auch dann nicht befragt, wenn sich nicht bald Cornelius zu ihnen gesellt hätte, der Bittner geradezu innig die Hand schüttelte. Die Gelegenheit des zwanglosen Nachfragens hatte er verpaßt; es war eben zwanglos nicht möglich, und irgendwann war es dann ganz unmöglich geworden. Sie schien Karriere in Washington zu machen, das hatte Bittner brieflich ja angedeutet, aber sonst kam er nicht mehr auf sie zurück.
Und auf etwas Zweites war er nie mehr zurückgekommen, in diesem Fall zu Karls Erleichterung. Er hatte nie mehr auf die Biographie angespielt, an der Karl doch längst hätte sitzen müssen; aber von Bittner kam kein Pieps. Hatte er seine Reserve gespürt? Oder einen anderenKandidaten gefunden und Karl stillschweigend aus der Pflicht entlassen, vielleicht nicht ohne geheimen Verdruß? Jedenfalls schonte er ihn und bohrte nicht nach. Umgekehrt hatte Karl – als hätten sie im Morgennebel auf der Glienicker Brücke feindliche Agenten ausgetauscht – darauf verzichtet, sich nach dem neuen Roman zu erkundigen, den Bittner schon lange in Aussicht gestellt, aber nie abgeschlossen hatte; einmal war er unter dem Titel
Das Muttermal
sogar schon in einer Programmvorschau angekündigt worden.
Es wäre auch taktlos gewesen, zu fragen. Bittner hatte andere Sorgen, noch gravierendere, wie sich jetzt herausstellte, als Karl es geahnt hatte. Im Winter hatte sich seine Schwermut verstärkt. Monatelang griffen die Finger der Nacht nach ihm. Das Tückische war, daß man wie vor einer Glaswand stand und alles Schöne der Welt deutlich sah, nur eben nicht hindurchtreten konnte und sich verwiesen fand auf
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